in fussballland
: Alles im Griff

Christoph Biermann erinnert sich an den berüchtigten Hodenstopp am Mittelkreis

Werden eigentlich Politikjournalisten auch danach gefragt, ob sie Politik machen oder mal gemacht haben? Damit sie sich besser in die Bundeskanzlerin versetzen können, weil sie nebenbei im Stadtrat für Umgehungsstraßen streiten. Gibt es Filmkritiker, die mal Regisseure waren, Schauspieler oder zumindest Fahrer am Set? Als Fußballreporter wird man jedenfalls regelmäßig gefragt: „Und, spielst du auch?“

Ich bejahe meistens, obwohl es nicht mehr stimmt, da ich unbemerkt von der Weltöffentlichkeit meine Karriere beendet habe. Doch offensichtlich glauben viele Leute, dass man sich diesem Thema unbedingt praktisch genähert haben muss. Was zumindest für Jungs kein Problem ist, denn irgendwann hat fast jeder mal vor einen Ball getreten. Und sei es bei der DJK Elpeshof, diesen Giganten des Herner Fußballs, deren B-Jugend zu meiner Zeit in der untersten Leistungsgruppe angesiedelt war und dort auf dem letzten Platz stand.

Damals wurde ich zum ersten Mal mit den Finessen der Fußballtaktik vertraut gemacht, denn unser Trainer verpasste uns ein den sportlichen Möglichkeiten angepasstes 9-0-1-System, mit dem ich total einverstanden war, denn ich war darin der einsame Stürmer. So bestanden unsere Sonntagvormittage darin, dass die neun Mann hinten sich eifrig gegen die Übermacht aus Holsterhausen oder Bickern wehrten, während ich auf die historische Chance eines Konters lauerte. Dazu lungerte ich am Mittelkreis herum, denn die einzige Waffe, die ich ins Spiel einzubringen hatte, war Schnelligkeit.

Gerieten meine Kollegen in Ballbesitz, kloppten sie den Ball hoch und weit nach vorne, auf dass ich meinem Gegner davonlief und freie Bahn aufs Tor hatte. Sonderlich erfolgreich war dieses Konzept nicht, obwohl gerade die Vorstopper, die mich am Anstoßpunkt bewachten, zumeist die dicken Kinder von Herne waren. Doch selbst die kannten den Hodenstopp: Bevor ich enteilen konnte, griffen sie kurz zwischen den Beinen durch und schnappten zu. Das mussten sie nur kurz machen, denn es tat ganz schön weh, außerdem rutschte dabei die Hose herunter. Da die Notbremse damals noch nicht mit einem Platzverweis geahndet wurde, blieb es zumeist bei einer Ermahnung, und ich war der Schnelligkeit entwaffnet.

Gerne würde ich daraus den Schluss ableiten, dass ich es mit strengerer Regelauslegung bis in die Bundesliga geschafft hätte, wie uns ja allen der große Durchbruch nur deshalb verwehrt blieb, weil irgendwas dazwischen gekommen ist und sei es ein Trainer wie Detlef. Als A-Jugendlicher wechselte ich zur DJK Sportfreunde 19 Herne und irrte mit Detlef fortan am Sonntagmorgen durch die Straßen der Stadt.

Die Fahrten zu den Auswärtsspielen nahmen ihren Ausgang von unserer Vereinsgaststätte, wo meine Mitspieler teilweise am Abend zuvor Alkoholabusus betrieben hatten. Teilweise fielen auch Dinge mit Mädchen vor, von denen ich noch nichts wusste. Ein Fahrzeug, seinen orangefarbenen Käfer, stellte Trainer Detlef zum Transport zur Verfügung und ich fuhr gerne mit ihm. Detlef rauchte beim Fahren nicht nur, er ließ die brennenden Zigaretten auch immer fallen. So war der Innenraum voller Brandlöcher, jedes eine Erinnerung an Todesgefahr, denn Detlef suchte die heruntergefallenen Kippen während der Fahrt. Außerdem wusste er nie, wo die anderen Sportplätze waren, sodass wir oft in Zeitnot gerieten, weshalb er vor Aufregung die Zigaretten noch schneller fallen ließ.

Danach hatte ich Angst vor nichts mehr, was aber nichts half, denn bei mehr als elf Spielern setzte Detlef mich meist auf die Bank. Das war jedoch nicht das Ende der Fußballkarriere, weitere tolle Höhepunkte mit dribbelndem Tunesier und reichlich Haschisch sollten folgen.