Fan oder Flaneur

Weil das launische Popcorn-Publikum den Arenen fernbleibt und meist nur noch die eingefleischten Fans zu den Spielen pilgern, kommt auf die Deutsche Eishockey-Liga ein ernsthaftes Problem zu

„So etwas wie Hamburg haut schon rein“

AUS HANNOVER CHRISTIAN OTTO

Kurz vor dem Ende des ersten Drittels kam die rettende Durchsage. Alle Fans im Oberrang, hoch oben unter dem Dach der 10.500 Zuschauer fassenden Arena, durften kostenlos auf die besseren Plätze im Mittelrang wechseln. Weil es doch so ein schönes Spiel war. Die Hannover Scorpions, der überraschende Tabellenführer der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), schlugen am Dienstag ihren Verfolger, die Frankfurt Lions, gleich mit 6:1. Da macht es sich nicht so gut, wenn leere Ränge die Kulisse für einen Sport bilden, der von Stimmung und Dramatik lebt. Hannover ist ja nicht gerade der Nabel der Eishockeywelt. Aber 4.622 Zuschauer sind bei einem Spitzenspiel der DEL in einer für 70 Millionen Euro errichteten Multifunktionshalle einfach zu wenig. Selbst den ewigen Eishockey-Klassiker zwischen Düsseldorf und Köln, sonst bis auf den letzten Stehplatz immer ausverkauft, wollten zuletzt nur noch rund 7.000 Fans sehen. Dem deutschen Eishockey kommen in diesen Tagen immer mehr Zuschauer abhanden. Und das tut einer Sportart, die ihre Zukunft in den großen, komfortablen Arenen sieht, mindestens so weh wie ein harter Bandencheck.

Weil Gernot Tripcke die 1994 gegründete DEL vermarktet und verantwortet, bleibt der Geschäftsführer der höchsten deutschen Spielklasse bei seiner Version: „Wir haben kein Zuschauerproblem. Im Schnitt stehen wir sogar besser da als Handball und Basketball“, sagt der smarte Funktionär, gibt aber auch zu: „So etwas wie Hamburg, das haut schon rein.“ Die Freezers, deren schmucke Color Line Arena in der vergangenen Saison stets prall gefüllt war, treffen das Tor nur noch selten und haben nach einem Viertel der Saison pro Spiel etwa 3.000 Zuschauer verloren. Das liegt auch daran, dass das so genannte Popcorn-Publikum vorerst satt ist. Den 83-Millionen-Euro-Bau haben sie nun alle bestaunt. Ein Team aber, das sich am Ende der Tabelle wiederfindet, taugt nur bedingt zur Unterhaltung der Spaßkundschaft ohne Schal und Trikot.

Vielleicht hilft es, auf die echten Fans zu hören, auf die, die in der Kurve stehen und singen und nicht mehr frieren müssen, seitdem die DEL ihre Vereine zu Umzügen in schicke Spielstätten drängt. Als Tripcke am Dienstag vom Hallensprecher in Hannover publikumswirksam begrüßt wurde, hießen ihn die hartgesottenen Anhänger mit einem kleinen Pfeifkonzert willkommen. Er muss für einen Schlingerkurs büßen, der einem fachkundigen Publikum aufstößt. Künftig soll es nämlich, damit die großen Investoren in ihren großen Hallen besser planen können, keinen Auf- und Absteiger mehr aus der DEL geben. Die Liga wird 2006 wieder zu einer geschlossenen Gesellschaft, die beim Geldverdienen nicht gestört werden möchte. Dass außerdem zum x-ten Mal für eine künstliche Erzeugung von Spannung der Spielmodus geändert werden soll, macht auch die allergrößten Liebhaber des Pucksports böse. „Kasperletheater“ nennt das selbst Hans Zach, Deutschlands prominentester Eishockeytrainer. „Kommerz schlägt Sport“, stand am Dienstag auf einem Plakat, das in der TUI-Arena aufgehängt war.

Weil der Spielplan furchtbar aufgebläht ist, startet die DEL schon in ihre Saison, wenn die letzten Eishockeyfans noch im Freibad liegen. Immer häufiger muss dienstags oder donnerstags gespielt werden, weil große Hallen wie die in Hannover an den Wochenenden durch die „Musikparade der Nationen“ oder ähnliche Gewinn bringende Großveranstaltungen belegt sind. Und die prominenten Spieler aus der NHL, die in der vergangenen Saison den Streik in Nordamerika zu Nebenjobs in der DEL genutzt haben, sind wieder zurückgekehrt. Zurück bleibt nun, so formuliert es Karl-Heinz Fliegauf, der Manager der Frankfurt Lions, „ein Niveauverfall der DEL“. Also kauft die Kundschaft, auch angesichts der Leere in so manchem Portemonnaie, die Eintrittskarten nur noch mit Bedacht und wartet auf die wirklich spannenden Momente einer endlos langen Saison.

Die Mannheimer Adler, die gerade ihre 100 Millionen Euro teure Arena bezogen haben, konnten ihren Schnitt zwar auf mehr als 9.000 Zuschauer im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln. Zu einer ausverkauften Halle reicht es dort aber auch nicht. So warten sie in der DEL alle auf den packenden Teil der Saison. „Die Meinung der Fans“, sagt Marco Stichnoth, Geschäftsführer der Hannover Scorpions, „ist uns sehr wichtig. Aber Leute, die jetzt mosern, tragen nicht das wirtschaftliche Risiko einer großen, teuren Halle.“