Kommentar
: Berlusconis Verhältnisse

Berlusconi möchte in Italien die Verhältniswahl wieder einführen. Diese ist demokratischer als die Mehrheitswahl, mit der Berlusconi einst an die Macht kam. Berlusconis Motive sind nicht demokratisch.

Deutschland atmet auf: endlich wieder eine Regierung. Nach Wochen der Unklarheit ist die Angst vorbei, der Untergang der Republik abgewendet.

In Italien hat die Regierung seit dem Zeiten Weltkrieg 52-mal gewechselt. Irgendwie ging es trotzdem immer weiter, aber das Wahlrecht wurde 1993 trotzdem geändert. Bis dahin galt das Verhältniswahlrecht: Jede Partei hatte so viele Abgeordnete im Parlament, wie es der Prozentzahl der Wähler entsprach. Ähnlich wie in Deutschland, aber ohne Fünfprozentklausel. Mini-Parteien jeder Sorte waren im Parlament dadurch vertreten. Die instabilen Regierungen führten viele auch darauf zurück.

Seit über zehn Jahren wählen die Italiener 75 Prozent der Abgeordneten nach dem Mehrheitswahlrecht. Ähnlich wie in den USA oder Großbritannien. Ein wenig demokratisches Wahlrecht, weil die Ergebnisse oft im Widerspruch stehen zu den tatsächlichen numerischen Verhältnissen bei den Wählern. Hätte es 2000 in den USA eine Verhältniswahl gegeben, hätte nicht Bush die Wahl gewonnen, sondern Al Gore.

Eine Mehrheitswahl brachte 2001 auch die Berlusconi-Regierung hervor: die stabilste Nachkriegsregierung Italiens – wenn man Stabilität am Zeitraum misst. Seitdem kann man bei jeder Gesetzesänderung fragen, was Berlusconi persönlich für einen Nutzen davon hat. In der Regel findet man eine Antwort. Eine neue Prozessordnung etwa sollte Berlusconi vor Strafverfolgung schützen, ein neues Steuerrecht vor Problemen mit dem Fiskus.

Das Verhältniswahlrecht ist gerechter als das Mehrheitswahlrecht. Das ist natürlich nicht Berlusconis Motiv für die Gesetzesänderung. Nach den derzeitigen Umfragen würde Berlusconi mit einer Verhältniswahl die Parlamentswahlen im April gewinnen, mit einer Mehrheitswahl nicht. Die Opposition protestiert. Nicht weil sie das Mehrheitswahlrecht gerechter findet, sondern weil sie die Wahlen auch gewinnen möchte. Damit folgt sie dem Berlusconi-Prinzip: Der persönliche Vorteil zählt.

Das Gesetz zur Änderung des Wahlrechts, das derzeit im italienischen Parlament verhandelt wird, ist das richtige Gesetz zur falschen Zeit und von der falschen Regierung. Das italienische Dilemma geht weiter.

GIUSEPPE PITRONACI