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Reste in Peace

Essen Berlins erstes Reste-Restaurant kocht mit übrig gebliebenen Lebensmitteln

Daniel Roick schlägt mit einem Schneebesen das Eigelb schaumig. Der Unterschied zwischen ihm, dem Koch des Reste-Restaurants Restlos Glücklich in Berlin-Neukölln und einem gewöhnlichen Küchenchef sei gering, wenn es darum geht, zu testen, ob Produkte noch gut sind: „Einfach probieren!“ All die Lebensmittel, die das Restaurant Restlos Glücklich verwendet, sind „gerettet“, nicht vor der Mülltonne, aber vor der Bedeutungslosigkeit.

„Unsere Partner sind Biosupermärkte, Weinhändler oder Schokoladenhersteller. Sie haben an einem Netz gearbeitet, um keine Lebensmittel wegzuwerfen. Wenn wir sie nicht abholen, werden sie von der Tafel oder anderen Organisationen verwendet“, erklärt Leoni Beckmann, die Vorsitzende des Vereins Restlos Glücklich, der das Restaurant betreibt. Die Botschaft ist klar: Jährlich werden in Deutschland 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, wie eine Studie der Universität Stuttgart 2011 berechnete. 61 Prozent entfällt laut dieser Statistik auf die privaten Haushalte.

Diese Zahl schwebt auch über Restlos Glücklich. Das Restaurant verwendet falsch etikettierte Lebensmittel, Gemüse, das zu groß oder „anders“ ist und deshalb nicht im Supermarkt landet. Private Haushalte kaufen zu viel, verwenden zu wenig, und dabei entsteht Müll. Der Großteil davon ist genießbar – das ist unvorstellbar. Restlos Glücklich möchte vorstellbar machen, was damit möglich wäre.

Nach einem Restaurant-Vorbild in Kopenhagen verfasste ein kleines Team ein Konzept und startete vor einem Jahr ein Crowdfunding – 26.800 Euro kamen zusammen. Heute teilt sich Restlos Glücklich die Räumlichkeiten in der Kienitzer Straße mit einem Bio-Caterer. Geführt wird der Verein von dreizehn Mitgliedern, sechzig Freiwillige unterstützen das Restaurant. „Wir sind ein Non-Profit-Restaurant. Sämtliche Einnahmen des Betriebs fließen in unsere Schulprojekte, bei denen wir mit Kindern kochen, mit ihnen rausgehen, ihnen die Bedeutung von Nahrungsmitteln erklären wollen. Bis auf den Koch, den Event-Manager und die Geschäftsführerin des Vereins ist keiner angestellt“, erzählt Beckmann.

Das Reste-Restaurants mit seinen kahlen Wänden, unterschiedlichen Stühlen und Tischen wirkt improvisiert. Aber improvisieren muss auch der Koch Roick. Um 10 Uhr holen Freiwillige mit dem Lastenrad oder dem Auto überschüssige Lebensmittel von den Bio-Supermärkten ab, um 2 steht ­Roick in der Küche: „Das ist das Kreativste, was du machen kannst“, sagt er. Jedes Mal erhält er andere Zutaten, jedes Mal ändert sich die Speisekarte. Saitanburger mit gegrilltem Gemüse oder Karotte-Kartoffel-Kokus-Suppe. „Wir erhalten sehr unterschiedliche Produkte. Vor Kurzem hatten wir sogar Mandelmehl, das aus der Marzipanproduktion übrig blieb. Es ist immer wieder wunderlich, wo überall etwas anfällt“, sagt Beckmann, die hauptberuflich Bildungsmanagerin ist. Ihr ist klar: Das Restaurant ändert nicht die 11 Millionen Tonnen, aber hoffentlich die Einstellung. Jonas Achorner

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