Press-Schlag
: Ein anderer Sport ist möglich

RUSSLAND Auf dem IOC lastet Druck, wenn es die Spiele geschmeidig glatt inszenieren will.

Um zu wissen, warum unsereins nur sehr ungern Sportfunktionär wäre, muss man heute nach Lausanne gucken. In der Schweiz ist es zwar landschaftlich sehr hübsch, aber: Da tagen am heutigen Donnerstag sowohl das Internationale Olympische Komitee (IOC) als auch der Internationale Sportgerichtshof (Cas), und beide sollen zu einem Urteil über Russland kommen.

Russland ist (oder war? oder ist gerade noch?) eine sportliche und politische Weltmacht, und was wäre ein globales Mega­event wie die anstehenden Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro ohne die besten Athleten, von denen etliche eben auch diesem Teil der Welt kommen? Einerseits. Andererseits hat bereits der Weltleichtathletikverband alle für Russland startenden Läufer, Werfer und Springer mit Verweis auf nachgewiesenes systematisches Doping gesperrt, und der jüngste Bericht der Weltantidopingagentur legt nicht gerade nahe, dass die dem Bericht zugrunde liegende Einschätzung falsch war.

Das Cas entscheidet über den Einspruch etlicher russischer Leichtathleten gegen ihre Suspendierung. Diese Sportler argumentieren nämlich mit einer gewissen Plausibilität, dass man sie doch nicht dafür bestrafen dürfe, weil sie Russen sind und im russischen Verband ihren Sport betreiben, ja, ihrem Beruf nachgehen. Das IOC hingegen hat die mittlerweile auch für andere Sportarten präsentierten Hinweise zu würdigen, ob nicht der gesamte russische olympische Sport von systematischer Regelverletzung geprägt sei.

Auf dem IOC, das seine Machtstellung dem Umstand verdankt, monopolistischer Organisator und Rechtebesitzer des größten Sportspektakels der Welt zu sein, lastet ein gewisser Druck: Der Brand mit den fünf Ringen soll weiter als glaubwürdig daherkommen, verbrämt mit der gesamten Ideologie, die immer als olympischer Gedanke verkauft wird: Dabei sein sei alles, wenn sich die Jugend der Welt treffe, blabla … Andererseits soll ja der globale Charakter des Weltfestes erhalten bleiben.

Wenn es dem IOC primär auf die Verwertbarkeit seines Produkts „Olympische Spiele“ ankommt, also darauf, ein Medienereignis erster Güte so geschmeidig glatt (man könnte auch sagen: schmierig) zu präsentieren, dass die hoch profitable Monopolstellung nicht gefährdet ist – warum sollte sich die kritische Sportöffentlichkeit dann darüber Sorgen machen?

Jeweils sehr unterschiedliche Alternativprojekte zu Olympischen Spielen hat es schon oft gegeben: die Arbeiterolympiaden, deren erste 1925 in Frankfurt/Main stattfand und deren Ende dem Faschismus geschuldet war (während sich der Aufschwung der Olympischen Spiele zum Weltereignis nicht zuletzt den 1936er-Spektakel in Berlin verdankt). Oder die heute hoffnungslos anachronistisch erscheinenden „Games of the New Emerging Forces“, die von 1963 bis 1966 neues Selbstbewusstsein in den Ländern verkörperten, die man mal Trikont nannte.

Die Beispiele zeigen: Ein anderer Sport ist möglich. Wie der aussehen wird, darüber gibt es ganz viele denkbare Varianten. Aber die Frage, ob Russland bei dieser IOC-Veranstaltung in Rio dabei ist, muss einen nicht allzu sehr grämen. Gibt es nicht gute Gründe, warum unsereins nicht gerne Funktionär ist? Eben.

Martin Krauss