Ein seltsamer Selbstmord in Damaskus

Innenminister Ghasi Kanaan hat sich in seinem Büro in Damaskus erschossen. Berichten zufolge wurde er wegen der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Hariri verhört. UN-Ermittler Mehlis legt Ergebnisse bald vor

VON KARIM EL-GAWHARY

Es ist schwer, an einen Zufall zu glauben. Wenn es keiner war, dann ist das syrische Regime in ernsthaften Schwierigkeiten. Nur wenige Tage bevor der deutsche Staatsanwalt Detlev Mehlis aller Voraussicht nach seinen von der UNO in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht im Mordfall des ehemaligen libanesischen Premiers Rafik Hariri veröffentlichen wird, hat der syrische Innenminister Ghasi Kanaan in seinem Büro in Damaskus Selbstmord begangen. Kanaan, bis 2002 viele Jahre verantwortlich für den syrischen Geheimdienst im Libanon, soll nach libanesischen Zeitungsberichten einer von sieben syrischen Regierungsbeamten gewesen sein, die letzten Monat von Mehlis im Mordfall Hariri verhört worden waren.

Die Meldung von dem Selbstmord des syrischen Innenministers wurde kommentarlos von der offiziellen syrischen Nachrichtenagentur vermeldet. Der Vorgang würde untersucht, hießt es. Das offizielle Damaskus hüllt sich seitdem in Schweigen.

Kanaan selbst hatte kurz vor seinem Tod noch dem libanesischen Radiosender Voice of Lebanon ein Interview gegeben, das er als seine „letzte Erklärung“ bezeichnet hatte, die auch anderen Sendern weitergegeben werden solle. „Ich möchte noch einmal klar machen, dass die Beziehungen zu unseren Brüdern auf gegenseitigem Respekt basieren. Wir haben stets dem libanesischen Interesse gedient“, sagte er gegenüber dem Sender.

Unterdessen gibt es im Libanon bereits Spekulationen, dass Kanaan ermordet worden sein könnte. „Hat er vielleicht keinen Selbstmord begangen oder wurde dazu getrieben?“, fragte der prominente libanesische Journalist Gibran Tueni in der arabischen Fernsehstation al-Arabija. Es gebe eine Menge Leute in Syrien, die einiges über die syrische Herrschaft im Libanon zu verbergen hätten, fügte er hinzu.

Es wird allgemein davon ausgegangen, dass Mehlis in seinem Bericht Syrien eine Verantwortung an der Ermordung Hariris zuweisen wird. Der libanesische Ministerpräsident war am 20. Februar mit 20 anderen von einer starken Autobombe in Beirut in die Luft gejagt worden. Nach der darauf folgenden so genannten Zedernrevolution hatten sich die syrischen Truppen nach fast drei Jahrzehnten aus dem Libanon zurückgezogen. Damaskus hat aber stets den Vorwurf, an der Ermordung beteiligt gewesen zu sein, zurückgewiesen. Es sei mehr als deutlich geworden, dass die Ermordung Hariris und ihre Folgen niemals in syrischem Interesse gewesen sein könne, lautete das immer wieder zitierte Argument.

Libanesische Zeitungen haben bereits vor dem Selbstmord Kenaans die bevorstehende Veröffentlichung des UN-Berichts als „Tsunami für das Regime in Damaskus“ bezeichnet. Vier dem Regime nahe stehende ehemalige libanesische Sicherheitschef sitzen bereits in Beirut in Haft.

Zumindest nach außen hin gibt sich das Regime in Damaskus indes gelassen. Präsident Baschar Assad wurde von Besuchern in den letzten Tagen als „entspannt und voller Selbstvertrauen“ beschrieben.

Doch hinter den Kulissen arbeitet das Regime in Damaskus bereits an einer Schadensbegrenzung. Dabei geht es ihm vor allem darum, UN-Sanktionen gegen Syrien zu verhindern. Es soll bereits ein Plan existieren, den UN-Bericht von Mehlis politisch zu diskreditieren. Besonders die UN-Sicherheitsratsmitglieder China, Indien und Russland sollen durch Lobbyarbeit dazu gebracht werden, Sanktionen gegen Syrien zu blockieren. Assad hatte in den letzten Wochen mehrere Kurzvisiten bei den US-Verbündeten in der Region, Ägypten und Saudi Arabien unternommen.

Falls Syrien am Ende auf der Anklagebank sitzt, könnte Assad die möglicherweise in den Mord verwickelten Generäle und Geheimdienstleute ausliefern lassen, wobei die Frage offen bleibt, wie tief das Regime, oder sogar Familienmitglieder Assads, impliziert werden könnten. Offen bleibt auch, wie sehr dann der Stuhl des gegenwärtigen libanesischen Präsidenten Emile Lahoud ins Wackeln gerät, der als Syriens letzter Verbündeter in Beirut gilt.