LeserInnenbriefe
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Mit dem Nachtzug zur Bergtour

betr.: „Trennung in Břeclav“, taz vom 17. 8. 16

Die Quintessenz der Reportage über eine Nacht im City Nightliner (CNL) scheint zu sein: zu teuer, zu unfreundlich, zu eng und ohne W-LAN und Steckdose – also nicht schlimm, wenn er abgeschafft wird. Für mich bedeutet das Ende der Nachtzüge einen großen Verlust. Da ich aus ökologischen Gründen nicht fliege und ungern das Auto benutze und mich im Bus ziemlich eingepfercht fühle, war der Nachtzug für mich über Jahre eine angenehme Art, weiter entfernte Ziele zu erreichen.

Ich benutze den CNL regelmäßig. Zum Beispiel steige ich in Bonn um Mitternacht ein, bin um 6 Uhr in Basel und kann dann zwischen 9 und 10 Uhr eine Bergtour in den Schweizer Alpen oder den Italienischen Westalpen beginnen. Meistens bin ich morgens, bei in der letzten Zeit gut funktionierender Klimaanlage und einschläferndem Geruckel gut ausgeschlafen. Die Rückfahrt im Nachtzug hat den Vorteil, dass ich eine Übernachtung spare und ausgeruht zu Hause ankomme.

Für Menschen, denen ein Sechserabteil zu eng ist oder die höhere Ansprüchen an Komfort und Privatsphäre haben, gibt es auch Viererabteile oder klassische Schlafwagenabteile mit ein oder zwei Betten.

Mich würde eine Berichterstattung über die bahnpolitischen Hintergründe der Entscheidung, die Nachtzüge abzuschaffen, eine Einordnung in die Gesamtverkehrspolitik und die Perspektiven interessieren. Julia Liesegang, Alfter bei Bonn

Marktkonforme Demokratie

betr.: „Tage der Hoffnung“, taz vom 19. 8. 16

Klaus-Helge Donath hätte seinen Artikel über die Augusttage 1991 in der alten Sowjetunion passender unter „Mythen der Geschichte“ firmieren lassen sollen. Denn was „lehrt“ uns seine offensichtlich hohle Übertreibung: „Sie waren die freiesten Menschen der russischen Geschichte“? Kein Wort darüber, was sich in jener Zeit machtpolitisch und ökonomisch abspielte.

Die Freiheit, für die Boris Jelzin stand – und darin anders als Gorbatschow, der wirklich Demokratie wollte, nun aber verdrängt wurde –, war die Freiheit der marktkonformen Demokratie, also eine wirtschaftliche Liberalisierung nach dem Vorbild der neoliberalen Schule von Milton Friedman und Friedrich August von Hayek, die eine Diktatur für die allemal bessere politische Verfasstheit hielten, um ihre marktradikalen „Reformen“ durchzusetzen. Brutale politische Gewalt ist für die Etablierung des Neoliberalismus unumgänglich, wo eine gewachsene gewerkschaftliche Kultur dem herrschenden Kapital Widerstand entgegensetzt (Pinochet in Chile, Thatcher in Großbritannien).

In der Sowjetunion nutzte Jelzin 1991 seine Chance, die Macht zu übernehmen, und führte mit einer Art Überraschungscoup unter Ausschaltung des Parlamentes quasi diktatorisch – die demokratischen Reformen unter Gorbatschow wurden ausgesetzt – die neoliberale Agenda ein. Die Folgen für die Bevölkerung waren wie ein Schock. So konnte eine Marktpolitik, die Reichtum und Elend produziert, getragen vom unwissenden Rausch der neuen Freiheit als Verkörperung der Freiheit fungieren und schlagartig in der Domäne des ehemaligen funktionsuntüchtigen staatskapitalistischen Pseudosozialismus die Herrschaft übernehmen.

Inzwischen ist die Bevölkerung weitgehend desillusioniert. Nach den prekären gesellschaftlichen Umbrüchen will man nicht mehr Freiheit, sondern das Gefühl von Sicherheit durch autoritär gestützte Stabilität und alte politische Stärke. Dieses Erwartungsbild erfüllt Putin bestens.

Vielleicht muss man es nicht nur so sehen. Aber ein bisschen mehr konkrete Analyse der geschichtlichen Ereignisse gehört in eine Zeitung wie die taz. Klaus-Peter Lehmann,Augsburg

Das Elend der Frauen

betr.: „Islamischer Feminismus: Arbeit im Stillen“, taz v. 21. 8. 16

Mag sein, dass mein Gedanke an einen islamisch-feministischen Elfenbeinturm Frau Gümüsay Unrecht tut. Wen erreicht man mit solch einem Spezialwissen eigentlich? Als politisch interessierter Mensch blicke ich auf die Schattenseiten von Religion, da schlägt der Islam aktuell selbst die schärfsten Evengelikalen. Und – mit Verlaub – das Kopftuch der Autorin und Feminismus, da stutze ich.

In meinem Meter Islamliteratur finde ich eher das Elend der Frauen und die Gefahren der rückwärtsgewandten Theologie beschrieben. Einzig Richter Dridi versuchte in der Bourgiba-Ära Tunesiens einen optimistischen Ausblick. Jene, die heute die Theologie reformieren wollen, brauchen Personenschutz. So wie sich humanistische und demokratische Politik mit den realen islamischen und arabischen Denkwelten beißen (al-Jabri), so kann einstweilen auch im Geschlechterthema kaum Gedeihliches erwachsen. Übrigens trug die von der Autorin genannte erste Frau Mohammeds kein Kopftuch. Ohne diese starke Beraterin wäre der bipolare Mohammed mit seinen visionären Durchbrüchen nicht klargekommen. Helmut Ritter,Hohenhameln

Einsetzen für Frieden

betr.: „Vorrat für den Fall der Fälle“, taz vom 23. 8. 16

28 Liter Trinkwasser, 5 Kilo Getreide, 3,6 Kilo Obst pro Person sollen wir für den Katastrophenfall bunkern. Ist das als Abwrackprämie für die Ernährungsindustrie gedacht? Soll der Bau größerer Wohnungen gefördert werden? Statt zu überlegen, wie man im Notfall Wehrpflichtige auf die Schnelle einberufen kann, sollten wir aufhören, Großmacht zu spielen und uns für Frieden und mehr Demokratie einsetzen. Mariana Munk,Hamburg