Wochenschnack
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Sollen die Hüllen fallen?

Burka Die CDU kämpft für Frauenrechte – wenn es um Frauen muslimischen Vordergrunds in Deutschland geht. Ist das nun gut oder schlecht?

Das waren noch Zeiten: Danksagung an die USA. Afghanistan im Jahr 2003 Foto: reuters

Ein Statement

betr.: „Deutschlands Haupt-Problem“, taz vom 17. 8. 16

Hat die taz wirklich kein wichtigeres Titelthema oder ist das dem Sommerloch geschuldet?

Ob Kopftuch, Burka, Rentnerjuppe, tief dekolletierte Abendrobe oder Golfer-Outfit – natürlich ist Kleidung immer auch ein Statement. Und darüber sollte diskutiert werden und nicht über das eher lächerliche Verbotsthema. Menschen, die sich in einer offenen, freiheitlich orientierten Gesellschaft bewegen und sich auch mit ihr identifizieren, sollten dann auch „Gesicht zeigen“. Burkaträgerinnen aber wollen – ob freiwillig, unter traditionellem Zwang oder religiös motiviert – genau das nicht. Und das ist dann eben deren Statement. Übrigens habe ich schon erlebt, dass Polizisten bei einer Demonstration ältere Damen rigoros dazu aufforderten, ihre Sonnenbrillen abzunehmen – sie hätten ihr Gesicht zu zeigen. Würde die taz das auch zum Titelthema machen?

Klaus-Ulrich Blumenstock, Stuttgart

Archaisch

betr.: „Deutschlands Haupt-Problem“, taz vom 17. 8. 16

Sind europäische Länder wie Frankreich oder die Niederlande weniger demokratisch oder liberal als wir? Sie haben ein Burka- oder Ganzkörperschleierverbot – ein Gesetz in diesen Ländern, was ausdrücklich vom Europäischen Gerichtshof als verfassungsmäßig bestätigt wurde.

Vor Jahren hat der damalige In­nen­minister Zimmermann ein „Vermummungsverbot“ erlassen. Die vollständige Verhüllung des Gesichts ist nichts anderes, weil man Menschen eben nur über ihr Gesicht identifizieren kann. Und zu einer offenen Kommunikation, wie wir sie kennen, gehört der Blick in das Gesicht des Menschen, mit dem ich rede. Ich will mich nicht mit einem Stück Stoff unterhalten – zugegeben eine sehr persönliche Sicht auf ein transportiertes Frauenbild, mit dem ich so gar nichts anfangen kann.

Die Verschleierung als Sinnbild der Unterdrückung, nachdem wir jahrzehntelang für Gleichberechtigung gekämpft haben, hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen.

Wenn Frauen selbstbestimmt verschleiert leben wollen, gibt es genügend Länder, in denen sie das praktizieren können. Denn das hat ja noch nicht einmal etwas mit Religionsfreiheit (der Islam schreibt das nicht vor) zu tun, sondern nur mit einer archaischen Vorstellung davon, wie Frauen in der Öffentlichkeit rumlaufen dürfen.

Ich möchte keineswegs die Sicherheitsdebatte befeuern, weil ich weder der CDU und erst gar nicht der AfD nahe stehe. Aber ich möchte den Aufschrei in diesem Land nicht erleben, wenn sich eines Tages unter einer Burka ein Mann mit einer Kalaschnikow den Weg frei schießt.

Nani van der Ploeg, Köln

Kulturvariante

betr.: „Deutschlands Haupt-Problem“, taz vom 17. 8. 16

Soso, Muslima werden also unterdrückt und müssen Burka tragen. Was sagen die Kritiker denn zu den Frauen, die in Deutschland anno 2016 gezwungen werden, mit geringeren Löhnen nach Hause zu gehen als Männer? Ist das eine christlich-abendländische Kulturvariante? Halb so schlimm?

F Lothar Winkelhoch, Gummersbach

Wo endet Toleranz?

betr.: „Deutschlands Haupt-Problem“, taz vom 17. 8. 16

Wenn wir eine Frau islamischen Glaubens sehen, die ihr Gesicht verhängt hat, dann sehen wir vor allem: kein Gesicht. Und das verwehrt uns einen wesentlichen Aspekt mimischer Kommunikation und verhindert, dass wir unser Gegenüber halbwegs einschätzen können. In unserem kulturellen Raum ist dies ein Angstfaktor. Daher stellt sich schon die Frage, wo endet die Toleranz? Wenn ich auf einer griechischen Insel als Frau eine Kirche besichtigen will, dann gebietet es der Respekt vor der fremden Religion, dass ich meine nackten Beine bedecke. Wenn ich das nicht will, dann gehe ich eben nicht in die Kirche.

Das Argument, mit einem „Vermummungsverbot“ islamistischen Gewaltattentätern in die Hände zu spielen, halten wir für besonders problematisch, da auch hier eine Grenze der Toleranz überschritten wird, wir uns von religiösen Fanatikern vorschreiben lassen würden, wie wir zu leben haben. Schlecht für den Luxustourismus – okay.

Dass die vermummten Frauen völlig unsichtbar werden (in Bonn-Bad Godesberg ist es nicht schwierig, welchen zu begegnen), weil sie dann hier die Häuser nicht verlassen dürfen – ist sicher ein Problem. Dann würde es eher darum gehen, diesen Frauen Unterstützung anzubieten, wenn sie sich aus dem Joch des Patriarchats befreien wollen.

Wenn wir ein anderes Land besuchen wollen, informieren wir uns über die dortigen Gepflogenheiten. Wollen wir verschleiert herumlaufen, können wir ein solches Land eben nicht besuchen.

Die Debatte – zumal wenn sie von der CDU angestoßen wird – krankt aber an einem anderen Punkt: Toleranz endet dort, wo eine religiöse oder sonstige Minderheit ihren Glauben oder ihre Prinzipien anderen aufzwingen will. Dazu gehört in unserem Lande die fehlende echte Trennung zwischen Staat und Kirche gleichermaßen. Vorschriften, wie jemand seinen Glauben leben will – okay. Sie können aber nur für diesen aktiv Gläubigen gelten und das auch nur, soweit er andere nicht mit irgendeiner Form von Gewalt attackiert. Der Rest ist gesellschaftlicher Konsens und gehört in aktiver Diskussion gefunden zu werden.

Ingritt Sachse & Bernd Kuck, B onn

Total naiv

betr.: „Deutschlands Haupt-Problem“, taz vom 17. 8. 16

Zu Johanna Roth: Ich finde ihre positive Neugier, zu wissen, wer sich hinter der Vollverschleierung verbirgt, total naiv. Mit der Vollverschleierung zeigt eine Person umgekehrt jedenfalls keine „Offenheit“ anderen Menschen gegenüber. Sie ist „offensichtlich“ nicht neugierig, ihr Gegenüber kennen zu lernen.

Zur Freiwilligkeit will ich nur so viel sagen. Alle Menschen werden von Geburt an er- und verzogen in verschiedene Richtungen, es ist schwer oder gar nicht zu beurteilen, ob sie frei handeln. Doch diesen Aspekt finde ich nicht entscheidend. Ich fühle mich geohrfeigt und beleidigt, wenn eine vermummte Frau an mir vorbeigeht, weil das in ihrer fundamentalistischen Welt bedeutet, dass sie zu den anständigen Frauen zählt, ich dagegen als Freiwild und schamlose Frau gelte.

Egal, ob Frömmigkeit, Antikolonialismus oder Mode die Motive sein mögen, wahr ist, dass Millionen Frauen zur Vollverschleierung gezwungen werden. Bei Widerstand werden sie mit Schlägen, Gefängnis oder Tod bestraft. Zu Patricia Hecht: Ich habe mich mein ganzes Leben für Frauenrechte engagiert und bin Mitgründerin und Gestalterin diverser Internationaler Frauenprojekte. Deshalb ziehe ich mir den Schuh des Populismus nicht an, wenn ich für das Verbot der Vollverschleierung plädiere.

Sie meinen, Vollverschleierung sei vielleicht die einzige Möglichkeit für diese Frauen, das Haus zu verlassen. Daher dürfe es kein Verbot geben. Das Verbot könnte aber im Gegenteil positiv bewirken, dass Frauen endlich erlaubt wird, den Nikab abzulegen. Wer soll denn sonst die Einkäufe erledigen oder die lieben Söhne zur Schule bringen, etwa die Patriarchen selbst?

Soledad Torres, Bonn