Auf Medikamente verzichtet

PROZESS Gericht urteilt heute über Orhan S., der seiner Frau im Wahn den Kopf abtrennte

Wenn Orhan und Sema S. stritten, ging es fast immer um Leila. Dabei hatte Leila ihre Beziehung zu dem verheirateten Orhan S. bereits vor vier Jahren beendet. Sema S. indes glaubte nicht an die Trennung. Ständig kontrollierte sie ihren Mann, machte ihm Vorhaltungen. Für alle war es purer Stress, der sicher das Drama begünstigte, das sich in der Nacht zum 4. Juni in der Köthener Straße ereignete, als sich der gläubige Moslem wieder für Jesus hielt und seine Angetraute für den Teufel. Als er sie an den Haaren auf den Balkon schleifte, die Küchenmesser über ihr wetzte und „Gott ist groß!“ rief, bis er ihr im Wahn den Kopf abtrennte. Heute entscheidet das Berliner Landgericht darüber, ob der 32-Jährige auf unbestimmte Zeit in der forensischen Psychiatrie bleiben muss.

Mit dem Mord endete eine Verbindung, die zwei Menschen vor 14 Jahren eingingen, weil ihre Eltern es wünschten. Eigentlich wollte der damals 19-jährige Orhan lieber mit seiner deutschen Freundin zusammenleben, die aber hatte sich von ihm getrennt, nachdem sie den drohenden Brief eines Imams erhalten hatte, so berichtet es Orhan S. Sein herzkranker Vater erpresste ihn dann mit der „letzten Bitte“, er möge vor seinem Tod noch heiraten. Also fuhren Vater und Sohn in die Türkei und suchten eine Braut. Sechs Kinder bekam er zwischen 1999 und 2011 mit der zwei Jahre jüngeren Sema S., Liebe aber verspürte er zu seiner Nachbarin Leila K.

2002 bekam die iranische Kurdin ihr erstes Kind von Orhan, so wurde die Beziehung publik, die Eifersüchteleien begannen. 2007 starb Orhans Stiefmutter, die Frau, die er mehr vergötterte als seine leibliche Mutter. Im gleichen Jahr litt er das erste Mal unter Verfolgungswahn, hatte Angst, umgebracht zu werden, auch vor Sema S., die er schon damals als Teufel wahrnahm. Er begab sich freiwillig in die Psychiatrie, er bekam Neuroleptika. Zwei Jahre später begann Orhan zu kiffen, obwohl ihm der Arzt erklärte, dass dies die Wirkung der Medikamente schwäche. Wenige Monate vor dem Mord an seiner Ehefrau ging Orhan S. nicht mehr zum Arzt und verzichtete auf seine Tabletten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass seine Schuldfähigkeit erheblich vermindert war.

UTA EISENHARDT