: Rohstoff vom Klo
Umwelt Im Klärwerk Waßmannsdorf machen die Berliner Wasserbetriebe aus einer stinkenden Brühe klares Wasser – und noch mehr. Unter anderem holen sie eine Substanz heraus, an der in Zukunft weltweit Mangel herrschen könnte: Phosphor, als Dünger gefragt
von Claudius Prößer
Dafür, dass sie die Scheiße von einer Million Menschen enthält, riecht die Brühe ziemlich dezent. Wie modriger Keller vielleicht. Die olfaktorische Zumutung wird auch durch den Wind verdünnt, der an diesem wolkenverhangenen Sommertag über das Klärwerk in Waßmannsdorf bläst und den aufflatternden Möwen unters Gefieder greift. „Die sind hier nicht wegzudenken“, sagt Ingenieur Rainer Wisniewski mit Blick auf die Vögel, die einen Beckenrand weiter wieder zur Landung ansetzen, „irgendwas finden sie eben immer.“
Dabei ist an dieser Stelle der riesigen Anlage, wo das Abwasser sichtbar durch breite Betonrinnen strömt, das Gröbste längst entfernt: Grob- und Feinrechen haben Binden, Feuchttücher, Kondome und andere Feststoffe herausgegabelt, auch Sand und Fettklumpen sind bereits eliminiert. Was jetzt noch schwarzbraun in den trüben Fluten wabert, sind die gelösten Fäkalien, aber auch hin und wieder ein paar Obstsamen oder weiche Essensreste, die durchaus das Interesse einer Möwe wecken können.
Mit einem Durchfluss von 230.000 Kubikmetern an trockenen Tagen ist das Klärwerk im Schönefelder Ortsteil Waßmannsdorf, zwischen dem südlichen Berliner Stadtrand und dem BER gelegen, das zweitgrößte der Berliner Wasserbetriebe nach Ruhleben. Das Abwasser kommt größtenteils aus Berlin, aber auch aus den umliegenden Brandenburger Gemeinden. Das „Klarwasser“, das am Ende seinen Weg zum Teltowkanal und über diesen zur Havel nimmt, sollte man nicht unbedingt trinken, sieht aber tatsächlich so aus, wie es heißt. Das Unappetitliche darin hat sich als Kohlendioxid und Stickstoff in die Luft verflüchtigt, als Methan im werkseigenen Kraftwerk Strom und Wärme erzeugt oder ist als dampfende, schwarze Pampe – entwässerter Klärschlamm – zur Verbrennung in andere Kraftwerken abgefahren worden. Und dann lagert noch ein ziemlich kleiner Teil in ein paar grünen Containern. Ein ganz spezieller Teil. Seinetwegen sind wir heute hier.
Ein Blick in die Behälter offenbart ein sandähnliches Granulat, kristalline Körnchen in ganz unterschiedlichen Formen. Etwas feucht ist es und geruchsneutral. Um zu verstehen, worum es sich dabei handelt, um die wirtschaftliche, ja gesellschaftliche und sogar politische Bedeutung dieser Substanz angemessen zu würdigen, müssen wir etwas allgemeiner werden.
Wertvoller Schmutz
Städtisches Abwasser, dieser in Trinkwasser gelöste Mix von menschlichen Ausscheidungen, Schmutz aus Küche und Bad sowie Reinigungsmitteln, ist eine wertvolle Ressource – jedenfalls wenn man richtig damit umgeht. Vor gar nicht allzu langer Zeit landete die stinkende Mischung noch unbehandelt in der Natur – das letzte Rieselfeld am Rande Berlins wurde erst 1985 aufgegeben. Heute eliminieren sechs Klärwerke mit ihrer Kombination aus mechanischer, biologischer und chemischer Behandlung praktisch alle festen Bestandteile, und im Laufe der Zeit gelingt es immer besser, das energetische Potenzial zu erschließen, das in ihnen steckt.
Aber auch wichtige Nährstoffe stecken im Klärschlamm: vor allem Stickstoff und Phosphor. Die Elemente sind – im Wortsinn – Teil unserer DNA, Pflanzen und Tiere brauchen sie, um zu wachsen. Deshalb sind sie in den Düngemitteln enthalten, mit denen die Fruchtbarkeit von Böden erhalten wird. Während sich aber heute Nitrate – Stickstoffsalze – problemlos synthetisieren lassen, sind die Phosphate ein Problemfall: fossile und vor allem endliche Rohstoffe, die weltweit nur in einer Handvoll Länder vorkommen. Die größten Reserven liegen in Marokko, Südafrika, China und den USA. Noch streiten sich ExpertInnen über den Zeitpunkt, aber irgendwann in den nächsten hundert Jahren könnten die Lager erschöpft sein, die sich wirtschaftlich abbauen lassen – von den Umweltbelastungen, die damit zusammenhängen, ganz abgesehen. Die EU-Kommission stuft Phosphatgestein als „kritischen Rohstoff“ ein.
Jede und jeder von uns verzehrt Tag für Tag winzige Mengen Phosphor und scheidet das allermeiste wieder aus. Nachhaltig wäre es, diese Mengen wieder den Böden zuzuführen, dem die Pflanzen sie ursprünglich entzogen haben. Über die Verwendung von Klärschlamm als Düngemittel ist das im Prinzip auch möglich. Aber Klärschlamm hat auch viele ungünstige Eigenschaften. Derjenige, der bei den Berliner Wasserbetrieben anfällt, darf gar nicht auf dem Feld ausgebracht werden: Die Metropole sondert zu viele Schadstoffe ab, die bei der Lebensmittelerzeugung nichts zu suchen haben. In Waßmannsdorf wird der wertvolle Phosphor trotzdem zum Dünger gemacht – es ist das Granulat in den grünen Containern. Das Verfahren zu seiner Herstellung haben die Wasserbetriebe entwickelt und patentieren lassen, es kann künftig noch eine wichtige Rolle spielen.
Der Trick mit der Luft
Und wie genau funktioniert das? „Die Becken sind voller Mikroorganismen, die unterschiedliche organische Verbindungen aufknacken können“, erklärt Rainer Wisniewski. „Bestimmte Bakterienstämme kümmern sich um die Phosphate.“ Der Ingenieur, der seit über 40 Jahren für die Wasserbetriebe tätig ist, deutet auf eines der Betonbecken, durch das die braune Suppe mäandert. Ab einer bestimmten Stelle wird die glatte Oberfläche durch Luftdüsen aufgewirbelt, es schäumt und flockt.
All das hat seinen Sinn: Im anaeroben, also sauerstoffarmen Teil des Rinnensystems sind die winzigen Helfer unter „Stress“ gesetzt worden. Weil sie nicht atmen können, erzeugen sie Energie, indem sie die in ihren Zellen eingelagerten Phosphate ins Wasser abgeben. Wenn sie in den luftdurchströmten Bereich gelangen, können sie die Phosphate wieder einlagern – und siehe da, sie nehmen mehr auf, als sie abgegeben haben. Myriaden von Bakterien mit Phosphor im Bauch stecken am Ende im Klärschlamm, der sich absetzt. „Biologische Phosphorelimination“ nennt sich der Trick, oder einfach „Bio-P“.
Aus einer kleinen Halle ragt ein riesiger, zylindrischer Behälter. Dass der oben offen ist und darin dunkelbrauner, noch relativ flüssiger Schlamm wild blubbert, sieht man erst, wenn man mit dem Aufzug auf einen der 40 Meter hohen bauchigen Faultürme nebenan fährt. Es ist der sogenannte MAP-Reaktor. Der von den Bakterien gebundene Phosphor reagiert mit der zugeführten Chemikalie Magnesiumchlorid zu Magnesiumammoniumphosphat (MAP): die feucht verklumpten Kristalle, die unten in der Halle aus einem Rohr in einen Auffangbehälter fallen. Das ausgesprochen schadstoffarme MAP, im Schnitt etwas mehr als eine Tonne am Tag, wird an Düngemittelhersteller verkauft. Aber man kann es auch als Merchandising-Produkt „Berliner Pflanze“ bei den Wasserbetrieben erwerben: trocken und rieselfähig in Plastiktöpfchen verpackt, 5 Kilo à 10 Euro. Tatsächlich eignet es sich hervorragend zur Ertragssteigerung im Garten oder auf dem Balkon.
Die Wasserbetriebe haben sich die MAP-Technologie national und international patentieren lassen, einige Betreiber von Kläranlagen in Deutschland und Holland haben die Lizenz bereits erworben. Die Pointe ist, dass am Anfang gar nicht die Idee stand, ein Düngemittel zu produzieren. Vielmehr, erklärt Rainer Wisniewski, bereitete die biologische Phosphorelimination dem 1998 fertiggestellten Waßmannsdorfer Werk schon bald heftige technische Probleme: Die Phosphate kristallisierten ungeplant in den Rohrleitungen aus und setzten diese zu, immer wieder drohte der Klärschlamminfarkt. Der MAP-Reaktor schuf eine Win-win-Situation: Die gesamte Anlage funktioniert damit tadellos und wirft auch noch ein sinnvolles und vermarktbares Produkt ab. Seit 2008 ist die „Berliner Pflanze“ ganz offiziell als Düngemittel zugelassen.
Schwächelnde Nachfrage
Zurzeit wächst das Lager übrigens an. Grund ist die schwächelnde Nachfrage nach Düngemitteln, Wisniewskis Kollege Andreas Lengemann sieht den Anlass dafür in den schlechten Preisen für landwirtschaftliche Produkte wie Milch und Getreide: „Die Landwirte, die damit keine Gewinne machen können, sparen dann wenigstens bei den Düngemitteln.“ Noch gibt es genügend Kapazität zur Aufbewahrung, zur Not müssen die Wasserbetriebe irgendwann beim Preis nachgeben.
In jedem Fall werden Methoden wie das MAP-Verfahren immer wichtiger. Das Bundesumweltministerium arbeitet seit einiger Zeit an einer Novelle der Klärschlammverordnung. Wenn die erst einmal verabschiedet ist, wird die Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlämmen bis 2025 zur Pflicht für alle größeren Kläranlagen. Die gewonnene Menge könnte rein rechnerisch mehr als die Hälfte des Bedarfs der deutschen Landwirtschaft an Mineraldüngerphosphat decken, heißt aus dem Bundesumweltministerium.
Zwar kann das kostbare Element auch aus der Asche verbrannter Klärschlämme extrahiert werden, das MAP-Verfahren ist jedoch kostengünstiger – und vor allem erprobt.
Für die übrigen fünf Klärwerke der Berliner Wasserbetriebe ist das eigene Verfahren allerdings noch keine Option: Sie wenden kein „Bio-P“ an, sondern fällen den Phosphor gleich chemisch aus. Als Düngemittel ist er so aber nicht nutzbar. Auch auf die Wasserbetriebe kommen also in jedem Fall noch beträchtliche Investitionen zu.
Aber wer weiß, vielleicht bewahrheitet sich auch die optimistische Prognose von Unternehmenssprecher Stephan Natz, der an die große Innovationskraft der Branche glaubt: „Zurzeit vernichten wir mit hohem Aufwand Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor“, erklärt Natz. „In zwanzig Jahren können Klärwerke vielleicht schon Kleinstädte mit Strom beliefern.“
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