Der Versuch, die Musik zu fühlen

HANDICAP Mischa Gohlke hat er es geschafft, sich seinen Traum zu erfüllen: Er ist Musiker, spielt in einer Band. Dabei sind Melodien für ihn oft nur ein einziger Brei – Mischa ist von Geburt an schwerhörig

Mischa fühlt die Musik. Nicht die Vibrationen, er fühlt sie auf einer mentalen Ebene

Es geschah bei „Ain’t gone ’n’ give up on love“, einem Gitarrenblues von Stevie Ray Vaughan. Als Mischa Gohlke die Musik zum ersten Mal hörte oder besser gesagt fühlte, spürte er „eine Art Seelenverwandtschaft“. „Dieses Lied hat mich berührt“, sagt Mischa. Seitdem stand für ihn fest, dass er Gitarrist werden wollte – und das, obwohl er nahezu taub ist.

Nun sitzt der 28-jährige Mischa im Café „Insbeth“ in Hamburg-Ottensen, im Nichtraucherbereich, obwohl er Raucher ist. Mischa nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Milchkaffee und rückt etwas über seinem rechten Ohr zurecht – sein Hörgerät.

Wie deutlich Mischa sprechen kann und wie gut er hört, hängt von seiner Tagesform ab. „Da gibt es Tage, an denen höre ich keinen einzigen Ton, an anderen höre ich jedes Gitarrensolo raus.“ Heute hat er einen „mittelguten“ Tag, wie er sagt.

Mischas Hörgerät ist noch eins der wenigen analogen, die es auf dem Markt gibt. Da kann er zwar nur die Lautstärke verändern, hört aber sonst weitgehend naturgetreu. „Die digitalen Hörgeräte haben meist einen harten, metallischen Klang, da sie die Schallwellen komprimieren und auf das reine Verstehen ausgerichtet sind“, sagt Mischa. Nebengeräusche würden weitgehend gefiltert, dabei können Schwerhörige die ohnehin nur vage empfangen. Die Hintergrundmusik im Café, das Rauschen der Blätter im Herbst, vorbeifahrende Autos, ein Hundebellen – all das hört Mischa kaum.

Mischa fühlt die Musik. Nicht die Vibrationen, er fühlt sie eher auf einer mentalen Ebene. Die Lautstärke sei aber nicht entscheidend: „Ich kann zum Beispiel eine Gesangsmelodie oder eine Stimme ohne Probleme hören, aber nicht verstehen. Das hört sich dann wie ein einziger Brei an.“

Je öfter er ein Stück hört, desto mehr versteht er es. Einmal hörte er einen Song, den er kaum wahrnehmen konnte. Er hatte zwar etwas gehört, aber nichts verstanden. Da hat ein Freund ihm das Stück auf seiner Gitarre vorgespielt und auf einmal kam etwas an. Er schaut dann auf die Finger, in welcher Abfolge sie die Saiten greifen, achtet auf die Bewegungen der Lippen und eben auf das, was er fühlt.

Wenn Mischa mal wieder zwölf Stunden am Tag probte, tagelang Musikworkshops besuchte, die Finger wund waren und sein Kopf sich wie Watte anfühlte, fragte er sich oft: „Warum tust du dir das an?“ Doch er wollte etwas lernen, das ihn herausfordert und an dem er wachsen kann. „Ich finde es spannend, gerade das zu machen, was ich scheinbar am wenigsten kann!“, sagt Mischa, lacht und geht in den Raum nebenan. Er muss jetzt erst mal eine rauchen.

Momentan steht Mischa alle paar Wochen mit seiner Band „CMW Trouble Experience“ auf der Bühne. Eine Coverband, die Sachen von Stevie Ray Vaughan und Jimi Hendrix spielt. Mit der trat er schon beim Maschseefestival in Hannover, beim Harburger Hafenfest und beim Elbecamp auf, spielte in mehreren Clubs in Hamburg.

Zurzeit plant er zusammen mit seinem Vater, dem Musiker Hörbie Schmidt, ein neues Bandprojekt. „Father and Son“ setzt sich aus drei jungen und drei alten Musikern zusammen. Sie wollen neben eigenen Songs von Hörbie hauptsächlich Stücke vom Guitar Hero-Set covern. Im März nächsten Jahres soll’s losgehen, momentan laufen noch Castings – es fehlt ihnen noch ein Frontsänger.

Gerne würde Mischa auch selbst in seiner Band singen. Aber davor hat er noch ein bisschen Angst. UTE BRADE

Das nächste Konzert von „CMW Trouble Experience“ ist am 10. 12. im Kir, Barnerstraße 16, Hamburg