KOLLWITZPLATZ
: Dicke auf Icke

Junge Westfalen fürchten die Schwaben

„Wir sind ein Volk. Und ihr seid ein anderes. Ostberlin, 9. November 2009“, wurde der Kollwitzplatz frisch tapeziert, und die Berliner Zeitung hält die Plakatierer für „echte Ureinwohner“. Mal wieder geht es gegen sogenannte Schwaben.

Dabei gibt es kaum welche. Die Statistiken weisen einen weit höheren Zuzug aus NRW aus. Das Schwabenklischee ist schon lang nur ein Symbol für die eigenen Ängste und Ressentiments. Wer im Ernst glaubt, der klassische Ureinwohner in Prenzlauer Berg bediene sich derartiger Ausdrucksformen – Parolen an Hauswänden oder (zugegebenermaßen gelungene) Plakate wie „Weihnachten 2005: Ostberlin sagt danke“ –, um sich gegen seine Verdrängung zu wehren, ist höchstwahrscheinlich selbst nie wirklich in Berlin angekommen. Geschweige denn stammt er von hier.

Eher stecken notorische Kreuzköllnsager dahinter, die vielleicht fünf Jahre länger in Stadt und Bezirk wohnen als ihre Feindbilder und allein schon deshalb meinen, dicke einen auf Icke machen zu können. Da kommt dem jungen Westfalen das Bild vom „Schwaben“ gerade recht, von wegen eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus: Es lenkt davon ab, dass er selbst keinen Deut besser ist, obwohl er sich besser fühlt, und es muss ja auch immer einer unbedingt besser sein als der andere. Doch sobald er sein Studium beendet hat, wird sich auch dieser Mann juchzend aufs Gentrifizierungskarussell setzen.

Ob aufgeräumter Kinderspielplatz für akademische Jungeltern oder unaufgeräumter Abenteuerspielplatz für diejenigen, die den Aggregatszustand der Ersteren erst noch erreichen müssen: Für die Einheimischen interessiert sich ohnehin keine der beiden Seiten. Die sprechen so komisch, haben merkwürdige Hunde und eventuell ganz doll doofe Ansichten. Und Plakate erfinden sie auch nicht.

ULI HANNEMANN