„Aber es ist eben auch Wahlkampf-zeit“

Das bleibt von der Woche Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zeigen ihre dunkle Seite, Hertha blamiert sich schon vor Saisonbeginn, im Streit um die Räumung des „Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf“ gibt es einen faulen Kompromiss, und die Nazis locken kaum noch Gegendemonstranten hinter dem Ofen hervor

Ein Kompromiss zum Heulen

Laden M99 in Kreuzberg

Nun muss HG den Laden bis zum 20. September freiwillig räumen

Eigentlich sollte der linke Szeneladen M99 am kommenden Dienstag geräumt werden. Nun gab es am Donnerstag überraschend eine Einigung mit dem Vermieter und vorerst keine Räumung, auch weil der Protest dagegen im Vorfeld so lautstark gewesen war. Doch die Zukunft von Ladenbetreiber Hans-Georg Lindenau – kurz HG – ist so ungewiss wie zuvor. Die Gewinner der Einigung sind andere.

Der private Eigentümer der Kreuzberger Manteuffelstraße 99 hatte Ende 2015 einen Räumungstitel erwirkt. Im Erdgeschoss des Hauses betreibt Lindenau seit 30 Jahren den "M99 – Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf", über dem Laden wohnte er. Ein halbes Jahr bestand noch Hoffnung – es war schließlich nicht das erste Mal, dass Lindenau gekündigt wurde und er dennoch blieb.

Doch diesmal scheiterten alle Vermittlungsversuche, der Räumungstermin wurde festgelegt – und nun mit einem "Räumungsvergleich" aufgehoben. Demnach verpflichtet sich der Eigentümer, den Räumungstitel bis zum 20. September nicht zu vollstrecken.

Die Zugeständnisse, die HG dafür macht, sind deutlich weitreichender. Bereits am Montag muss er seine Wohnung über dem Laden übergeben, nun haust er im Hinterzimmer seines Geschäfts. Den Laden muss er laut Vereinbarung bis zum 20. September freiwillig räumen. Damit er das auch wirklich macht, soll er 5.000 Euro Sicherheit hinterlegen.

Und nun zu den Gewinnern des Vergleichs: Der Eigentümer war wohl letzten Endes doch nicht darauf erpicht, einen auf den Rollstuhl angewiesenen 57-Jährigen gewaltsam aus seinem Laden tragen zu lassen – direkt nach der Aufregung um die widerrechtliche Räumung in der Rigaer Straße 94. Und auch der Politik kommt es gelegen, dass der neue Termin wundersamerweise auf zwei Tage nach der Wahl datiert wurde, und die erwarteten Proteste samt Medienresonanz ins Ungewisse verschoben wurden.

Und was wird aus HG? Am Donnerstag verlas er während einer Pressekonferenz eine Erklärung, immer wieder von Weinkrämpfen unterbrochen. In der Gürteltasche hatte er vegane Würstchen, "das Kauen hilft gegen das Weinen". Tatsächlich ist der Kompromiss für ihn eher zum Heulen. Manuela Heim

Die dümmste Niederlage seit Langem

Herthas Europa-Aus

Herthas Defensive dilettierte vor sich hin – Profifußball sieht anders aus

Manchmal können Ereignisse der Schmach im Sport eine reinigende Wirkung haben. Ein berühmtes Beispiel kennt man aus der Vereinshistorie von Werder Bremen, das 2003 im damals noch existierenden europäischen UI-Cup zu Beginn der Saison an einer Mannschaft namens SV Pasching scheiterte („Pasching-Trauma“) – um in der darauf folgenden Spielzeit Meister und Pokalsieger zu werden.

Nun ist Hertha BSC am Donnerstagabend in der Europa-League-Qualifikation an einem weitaus namhafteren Gegner – Bröndby Kopenhagen – gescheitert: 1:3 verlor man im Rückspiel, nach dem 1:0-Hinspielerfolg daheim. Klarer Favorit waren die Berliner dennoch gewesen, und gegen Analogien zu Werder hätte bei der Hertha sicher niemand etwas einzuwenden. Letzteres ist auch schon der einzige Hoffnungshalm, an den man sich in Berlin klammern kann.

In die Vereinshistorie wird die Pleite von Kopenhagen vorerst als die überflüssigste und dümmste Niederlage der jüngeren Vergangenheit eingehen. Denn beim 1:3, bei dem der finnische Ex-Schalker Teemu Pukki alle drei Tore für die Dänen erzielte (3., 34., 52. Minute), legte Hertha in der Defensive eine Nachlässigkeit an den Tag, die Pukki nur als Einladung zum Toreschießen verstehen konnte.

Hertha-Trainer Pal Dardai stellte im Anschluss richtig fest, dass die „Körpersprache falsch“ war. In der Tat stolperte und dilettierte die Berliner Defensive bei den Gegentoren lethargisch vor sich hin – nach Profifußball sah das nicht aus. Stürmer Vedad Ibisevic, der wie im Hinspiel traf und den zwischenzeitlichen Ausgleich markierte, war einer der wenigen Lichtblicke.

Derart nachlässige Auftritte von Favoriten zu einem frühen Zeitpunkt der Saison in Pokalwettbewerben sind nicht selten. Von daher wird man sich intern bei Hertha fragen müssen, ob man das Team nicht ausreichend gewarnt hat oder warum die Warnungen nicht angekommen sind. Denn diese Niederlage war weniger ein Pukki-Trauma als vielmehr ein hausgemachter Hertha-Flop. Nach fast sieben Jahren Europaabstinenz hätte man mehr Engagement erwarten dürfen, ja müssen. Jens Uthoff

Wenn die SPD zum Hörer greift

Landeseigene Wohnungen

Was, wenn sich landeseigene Ver­mieter nicht anders verhalten als private?

Einige in der SPD werden gerade nervös. Berlin wächst, die Mieten steigen, und für viele ist die Angst um den Verlust der eigenen Wohnung auch ein Grund, das Kreuz am 18. September bewusst einzusetzen. Das ist eigentlich gut für eine SPD, die sich als Mieterpartei versteht und in den vergangenen Jahren – wenn auch mit der ihr eigenen Schneckenhaftigkeit – zahlreiche Gesetze und Verordnungen gegen den Irrsinn auf dem Wohnungsmarkt verabschiedet hat.

Ausgerechnet in diesem Moment aber zeigt sich, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – sozusagen das Tafelsilber sozialdemokratischer Wohnungspolitik – weniger an die SPD denken als vielmehr an sich selbst. Am Montag hat die taz bekannt gemacht, dass die Gewobag im Haus Raumerstraße 9 in Prenzlauer Berg eine energetische Sanierung zum Anlass nimmt, die Mieten zu verdoppeln. Und Mitte der Woche wurde bekannt, dass neben der Gewobag auch die Gesobau und die Degewo – beide ebenfalls im Besitz des Landes – zahlreiche Kandidaten für die Wahl zu Mieterräten abgelehnt haben. Linke und Grüne befürchten, dass damit Kritiker mundtot gemacht werden sollen.

Dass am Tag, nachdem sich betroffene Mieter in der taz über eine Modernisierung beschweren, der zuständige Staatssekretär zum Telefonhörer greift und den Vorstand der Gewobag zum Einlenken zwingt, ist ungewöhnlich. Aber es ist eben auch Wahlkampfzeit, und nichts kann sich die SPD derzeit weniger leisten als Schlagzeilen, die nahelegen, dass sie die landeseigenen Gesellschaften nicht im Griff hat. Mit dem Ziel 400.000 landeseigener Wohnungen will Michael Müller am 18. September punkten.

Aber was, wenn sich deren Vermieter kaum anders verhalten als private Eigentümer?

Der Senat hätte die Gelegenheit gehabt, Gewobag und Co stärker an die Leine zu nehmen. Doch mehr als eine Härtefallregelung ist im Wohnraumversorgungsgesetz vom Januar nicht herausgekommen. Mietpreistreibende Modernisierungen sind weiter erlaubt. Gut also, dass Grüne und Linke als potenzielle Koalitionspartner der SPD nun fordern, das Gesetz nachzubessern. Auch wenn das erst nach der Wahl sein wird und der Staatssekretär dann eher keine Lust mehr hat zu telefonieren. Uwe Rada

Nur der harte Kern ging auf die Straße

Protest gegen rechte Demo

In­ter­es­sant wird es am 3. Sep­tem­ber: Dann wird gegen die AfD demonstriert

Mehr Neo­na­zis als Ge­gen­de­mons­tran­tIn­nen – in Ber­lin war das lange un­denk­bar. Am vergangenen Sams­tag aber fiel die Zah­len­bi­lanz wie­der ein­mal zuun­guns­ten der Na­zi­geg­ner aus: Nur knapp 1.000 Men­schen pro­tes­tier­ten gegen die drit­te Auf­la­ge der „Mer­kel muss weg“-De­mons­tra­ti­on, der sich laut Po­li­zei­an­ga­ben rund 1.350 Teil­neh­me­rIn­nen an­schlos­sen.

Klar, es ist Fe­ri­en­zeit, am Sams­tag war Ba­de­wet­ter, und auch die­ses Mal wurde nicht zu Blo­cka­den mo­bi­li­siert, was er­fah­rungs­ge­mäß mehr Leute an­zieht als nur eine Ge­gen­de­mo. Aber 1.000 Men­schen in einer Stadt mit mehr als 3,5 Mil­lio­nen Ein­woh­ne­rIn­nen? Das ist nicht mehr als der ganz harte Kern: die An­ti­fa, die Un­er­müd­li­chen, die, deren Leben um An­ti-Na­zi-Ar­beit kreist.

Die Ber­li­ner Zi­vil­ge­sell­schaft fehl­te mal wie­der quasi kom­plett, auch die Delegationen der linken Parteien im Parlament fielen arg überschaubar aus. Nach­dem es bei der ers­ten De­mons­tra­ti­on im März ein noch de­sas­trö­se­res Zah­len­ver­hält­nis ge­ge­ben hatte, ließ sie sich im Mai mal wie­der hin­ter dem Ofen vor­lo­cken – da­mals schlos­sen sich der Ge­gen­de­mons­tra­ti­on bis zu 10.000 Men­schen an. Mit dem Auf­tritt von Sams­tag haben sich die Ber­li­ne­rIn­nen die­sen Er­folg nun selbst wie­der ge­nom­men.

Um nicht nur zu jam­mern: Die ge­rin­ge Be­tei­li­gung kann auch als Zei­chen ge­deu­tet wer­den, dass die Neo­na­zis mit ihren kru­den Pa­ro­len und ihrem bi­zar­ren Auf­tre­ten nie­mand mehr ernst nimmt. Das gilt an­ge­sichts der wei­ter stei­gen­den Zah­l von An­grif­fen auf Flücht­lings­un­ter­künf­te und ihre Be­woh­ne­rIn­nen, die in die­ser Woche ver­öf­fent­licht wur­den, zwar nicht für alle Gegenden Berlins. Es ist aber Aus­druck einer prinzipiell er­freu­li­chen Ent­wick­lung: Auf po­li­ti­scher Ebene kön­nen Neo­na­zis spä­tes­tens seit der Selbst­zer­le­gung der NPD kaum noch etwas rei­ßen.

Ganz an­ders sieht das bei der AfD aus, der die Um­fra­gen wei­ter­hin zwei­stel­li­ge Wahl­er­geb­nis­se pro­gnos­ti­zie­ren. In­ter­es­sant wird da der 3. Sep­tem­ber, für den das Bünd­nis „Auf­ste­hen gegen Ras­sis­mus“ zu einer Groß­de­mons­tra­ti­on gegen die Rechts­po­pu­lis­ten auf­ruft. Mal sehen, ob Par­tei­en und Zi­vil­ge­sell­schaft dann eine etwas bes­se­re Figur ma­chen als am Sams­tag. Malene Gürgen