Ungehemmte Ausbreitung
: Zügelloses Sorgenkind

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Alle Welt schaut dieser Tage Richtung Internet, welches – bezieht man seine Vorgänger mit ein – bereits 47 Jahre alt ist. Über den 40. Geburtstag sagt der Volksmund, es sei der Zeitpunkt, an dem aus einer Rose eine Hagebutte wird. Im verflixten siebten Jahr nach dem 40. ist „das Netz“ allerdings weniger geschrumpelt als kräftig gewachsen – und damit einfach überall. In diesem Zuge geraten gewisse Dinge mehr und mehr in Unordnung. Zum einen, weil dunkle Ecken sich ungehemmt ausbreiten (z. B. Darknet), zum anderen, weil die Bereiche zielstrebig ineinander diffundieren (Internet to Go, Pokémon 2.0).

Geradezu rührend nehmen sich da ältere Versuche der realen Welt aus, der Kontroll- und Zügellosigkeit ihres digitalen Ablegers durch Kampagnen wie „Raubkopierer sind Verbrecher“ entgegenzutreten. Heute ist nämlich alles längst zu einem herrlichen Spiegelkabinett zusammengewachsen. Aber nicht für jeden ist das von Nachteil. Die zentralen Protagonisten von The Internet (16. 8., Nochtspeicher) etwa haben sich genau hier kennengelernt. Im Nebenstrang Mitglieder eines kalifornischen Hip-Hop-Kollektivs mit dem prägnanten Namen „Odd Future Wolf Gang Kill them all“ wird hier stärker auf musikalische Nebenstrecken zurückgegriffen. Ergebnis: Extrem tiefenentspannter Funk vermischt mit R’n’B und sehr viel Strandgefühl (bis man irgendwann auch einfach mal an Milli Vanilli denkt).

Zurück zur Hagebutte. Über sie hat sich Helge Schneider (19. 8., Stadtpark Freilichtbühne) nicht geäußert. Dafür aber stellte er im Selbstversuch fest, dass das Internet noch Lernbedarf hat. Es müsse, so sein Befund, „dreidimensional werden. Für Leute, die nur eindimensional denken“.

Jetzt kann man sich fragen, woran er genau gedacht hat. Vermutlich nicht an Morgan Delt (12. 8., Uebel & Gefährlich). Der Kalifornier durchflutet seine Musik mit Psychedelica und schreitet durch eine bunt-bizarre Welt voller Gitarrensoli. Die ist zwar „mehrdimensional“, aber in ihrer Pink-Floyd-Haftigkeit doch eher noch ein paar Jährchen älter als das Sorgenkind dieser Tage.