Hamburgs Verneigung

Bahnhof Altona, Dienstagmorgen um 10 Uhr: Ich staune nicht schlecht. Die Sportstadt Hamburg traut sich nach dem Olympiadebakel erneut mit einem Infostand unter die Menschen. Die verteilen – Fächer. Ich denke es hackt, frage aber: „Können sie mir bitte auch einen geben?“ Wie viele Stände wohl aufgestellt werden, wenn „Die Welt zu Gast bei Freunden“, so der Subtitel der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2006, ist? Ob denn viele chinesische Fans und Gäste ihr Utensil bereits abgeholt hätten, will ich vom Standdienst erfahren. „Naja, so richtig viel werden wir nicht los. Okay – das ist Hamburg. Erst fahren ein paar Containerschiffe und Handelsreisende ins rote Reich in der Grauzone des Menschenrechts, und dann wird am Bahnhof so richtig groß selbiger gemacht.

Was natürlich längst nicht alles ist. Die Tourismuszentrale strickt mit heißesten Stäbchen einen Prospekt, dem ich während des Länderspiels entnehmen darf, wie Abseits und Schiedsrichter auf Chinesisch heißen. Schade, ich kann es nicht lesen. Wie überbrücke ich bloß diese Bildungslücke? Unser Bürgermeister Ole von Beust lächelt mir nur entgegen als wolle er mich ermutigen, wenigstens meiner Tochter Chinesisch beibringen zu lassen. Ob sie dann auch wie er, der die Beziehung nach China so sehr vertieft hat, nach Südkorea und Japan reisen muss, damit diese Länder dann nicht sauer auf sie sind, weil sie lieber chinesisch als japanisch lernt? Aber so ist es jetzt ja alles glimpflich verlaufen. Deutschland gewinnt mit 1:0 und stimmt Japan wie Südkorea friedlich. Und richtig böse können die Chinesen auch nicht sein. Gott sei dank. Was würde sonst mit Hamburgs Wirtschaft passieren? Würden die Chinesen immer noch sechs Fußballtrainer nach Hamburg zur Fortbildung schicken, oder würden sie sich als Weltmacht zu Gast bei Feinden fühlen? Das wäre kein Spaß. Obwohl die chinesischen Fußballer in ihrem Hotel in Hamburg so ruhig wirkten, als äßen sie Schlaftabletten zum Frühstück. Am Dienstag verbrachten sie ihren Tag beinahe durchgehend schlafend. Und selbst wenn das Ergebnis, wie manche Zuschauer hofften, zweistellig ausgefallen wäre, man hätte bereits Vorkehrungen getroffen gehabt,um China zu beschwichtigen. HSV-Vorstand Bernd Hoffmann plant einen Fußball-Supervisor für ein Jahr nach Shanghai zu entsenden. Außerdem dürfen weitere Jugendspieler Chinas beim HSV hospitieren. Selbst der DFB hatte sicherheitshalber schon eine Rückspiel-Expedition ins bevölkerungsreichste Land der Erde ausgerufen. „Wir wollen das Rückspiel der Nationalelf in eine chinesische Woche einbinden. Denkbar sind Spiele des deutschen Meisters und Pokalsiegers gegen chinesische Vereine“, blickt DFL-Präsident Werner Hackmann, der alte Hamburger, in die Zukunft. Blickte ich in die Zukunft, sähe ich glückliche Menschen. In China und in Hamburg. Wenn doch bloß das risikoreiche Fußballspiel nicht gewesen wäre. Obwohl: Dann hätte ich keinen hübschen Fächer bekommen. FOG