berliner szenen Listening Session

In Kate-Bush-Zeit

Wenn sich die Zeit irgendwo da draußen im Universum krümmen kann, warum sollte sie das nicht auch mal in Berlin-Mitte können? Kate Bush, die Göttliche, die Schweigsame, hat sechzehn neue Songs geschickt – gehört werden können sie nur in der Schickibar „Rheingold“. Denn in den zwölf Jahren seit ihrer letzten Durchsage hat sich viel verändert: MP3s und Handys, alle sind viel zu neugierig geworden. Also heißt es „Listening Session“, wie im Hochsicherheitstrakt, an der Tür werden die Telefone eingesammelt. Ach, in was für eine schlimme Welt muss Kate Bush da zurückkehren?

Wenigstens ist sie ganz die Alte geblieben: „Washing mashine!“, gurrt sie aus den Boxen, noch mal einen Ton höher: „Wa! Shing! Mah! Shiiiine!“ Ein Zeitlupen-Discobeat stapft los. Wunderbar! Man möchte sofort aufspringen, die Fenster aufreißen und eine riesige Wettermaschine – wie damals im „Cloudbusting“-Video! – auf die Stadt richten, um all die Ahnungslosen da draußen teilhaben zu lassen an diesem entschleunigten Wahnsinn! Sie alle würden auf der Stelle in eine anmutige Zeitlupe fallen, in Slow-Motion Pirouetten drehen. Doch stattdessen kommt der Moët-&-Chandon-Kellner und reicht Hackfleischbällchen im Sesamkleid. Die Abendjogger vor den Fenstern fragen sich, was da drinnen wohl gespielt wird. Und Kate Bushs dramatisch gesetzte Pausen werden vom Knacken der Nachos versaut.

Dann verschwindet die Göttliche wieder in der Tasche einer Plattenfirmenmitarbeiterin, man zieht sich benebelt aus den Sesseln, vergisst an der Tür, sein Handy abzuholen, und wundert sich: Draußen wirkt es tatsächlich so, als habe sich die Zeit ein bisschen verbogen. Als brumme Berlin einen Gang gelassener. In Kate-Bush-Zeit. JAN KEDVES