„Fusionsgegner gefährden Bundestagsfraktion“

Die Linke hat es plötzlich eilig. Bis zur Abgeordnetenhauswahl im September 2006 soll die Fusion von Linkspartei und WASG auf dem Weg sein. Im Streitgespräch suchen Linkspartei-Chef Stefan Liebich und Ex-WASG-Vorstand Klaus-Dieter Heiser nach Gemeinsamkeiten – und stoßen auf viele Hürden

INTERVIEW FELIX LEE
UND MATTHIAS LOHRE

taz: Herr Liebich, die Bundestagsfraktion drängt auf eine Vereinigung der Landesverbände von Linkspartei und WASG. Was gäben Sie heute dafür, Ihr Wort von der „Gurkentruppe“ WASG ungeschehen zu machen?

Stefan Liebich: Was ich gesagt habe, habe ich gesagt. Das war am Anfang, als überhaupt nicht absehbar war, dass wir einmal zusammenarbeiten könnten. Heute würde ich das nicht mehr sagen. Und das tue ich auch nicht.

Herr Heiser, die Linkspartei höhnt gern, es gebe nicht eine WASG in Berlin, sondern mindestens vier. Können Sie mit Liebichs Parteifreunden überhaupt auf Augenhöhe verhandeln?

Klaus-Dieter Heiser: Ja, aber manchmal habe ich tatsächlich das Gefühl, die PDSler ritten auf einem hohen Ross. Trotzdem vergessen wir Äußerungen wie die „Gurkentruppe“ besser.

Bis Anfang 2007 soll die Fusion beider Parteien unter Dach und Fach sein. Ist das mit der vierfachen WASG zu machen?

Heiser: In der WASG gibt es Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten. Gemeinsam ist uns, dass wir den Sozialstaat verteidigen wollen, und die Ablehnung neoliberaler Politik.

Was neoliberal ist, beurteilt jeder anders.

Heiser: Klar. Das wird auch noch Probleme bereiten. Aber vor der Bundestagswahl stimmten 85 Prozent der WASG-Mitglieder für ein neues linkes Bündnis. Das ist doch eine tragfähige Basis, auf der sich gemeinsam diskutieren lässt.

Herr Liebich, warum forcieren ausgerechnet Sie bei der Parteienfusion das Tempo?

Liebich: Weil spätestens seit der Bundestagswahl viele unserer Wähler glauben, dass es bereits eine neue Linkspartei aus PDS und WASG gibt. Deshalb würde niemand verstehen, wenn wir im kommenden Jahr im Abgeordnetenhauswahlkampf gegeneinander anträten. Wir müssen jetzt den Schwung der Bundestagswahl zur Einigung nutzen. Uns bleibt gar nichts anderes übrig. Der Bestand unserer gemeinsamen Bundestagsfraktion ist aus rechtlichen Gründen gefährdet, wenn die Organisationen, die in dieser Fraktion vertreten sind, miteinander konkurrieren. Sollten sich die Fusionsgegner in der Berliner WASG durchsetzen, dann gefährden die nicht nur das Bündnis hier, sondern die Bundestagsfraktion. Für Streit über Parteiorganisationen haben unsere Wähler da kein Verständnis.

Heiser: Es geht nicht allein um die Organisation, sondern vor allem um politische Fragen. Bei denen müssen wir uns einigen, damit unsere Wähler Klarheit haben, wofür die neue Linkspartei steht.

In Berlin setzt die Ex-PDS die Hartz-IV-Gesetze um, im Bund protestiert sie dagegen. Wie beurteilen Sie die Senatspolitik der Linkspartei?

Heiser: Viele Wählerinnen und Wähler der PDS, die zu Beginn eine neue Senatspolitik erwarteten, einen Politikwechsel, wurden tief enttäuscht. Auch ich habe ja früher PDS gewählt. Erst seit wenigen Wochen sehe ich wieder ein paar Punkte im Linkspartei-Handeln, bei denen ich sage: Hoppla, da passiert was!

Zum Beispiel?

Heiser: Beispielsweise wenn die Linkspartei die Kürzungen im Jugendbereich nicht einfach durchwinkt. Oder wenn die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, einst von einem schwarz-roten Senat auf den Weg und unter der Verantwortung eines PDS-Senators zu Ende gebracht, noch einmal überdacht wird.

Liebich: Das kann ich so nicht stehen lassen. Wir wollten vor vier Jahren in die Regierung, plakatierten deshalb auch Gregor Gysi als Kandidaten für den Posten des Regierenden Bürgermeisters.

Heiser: Das war ein schöner Gag.

Liebich: Wir wollten die Regierungsverantwortung. Und das, obwohl wir wussten, dass es nicht einfach werden würde. Wenn die WASG jetzt bemerkt, dass wir uns gegen SPD-Haltungen wehren, dann freut mich das. Aber das tun wir nicht erst seit wenigen Wochen, sondern seit vier Jahren.

Wir hören?

Liebich: Gegen den Widerstand der SPD haben wir durchgesetzt, dass nicht alle Kitas in freie Trägerschaften überantwortet werden. Und noch ein Wort zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe: Das hatte die große Koalition beschlossen, wir haben erfolgreich dagegen vor dem Landesverfassungsgericht geklagt. Trotzdem müssen wir in Rechtsverträge einsteigen, die die Vorgängerkoalition verzapft hat. Das ist nun mal so. Auch wenn einige in der WASG noch immer an einfache Lösungen glauben.

Herr Heiser, die Linkspartei traut Ihnen offenbar wenig Realitätssinn zu. Beweisen Sie das Gegenteil und sagen Sie, wie Sie Berlin aus der Haushaltsmisere führen wollen.

Heiser: Wir sind davon überzeugt, dass der Haushalt aus sich heraus nicht konsolidierbar ist …

Liebich: Wir auch.

Heiser: … und deshalb muss die Berliner Klage beim Bundesverfassungsgericht ausgeweitet werden. Nicht nur um 35 Milliarden Euro Entschuldungshilfen soll es gehen. Das ist zu niedrig.

Liebich: Ihr wollt die anderen Bundesländer die ganzen Schulden in Höhe von 70 Milliarden Euro bezahlen lassen?

Heiser: Nicht nur die Länder, auch den Bund. Er muss die Kosten übernehmen, die Berlin durch seine Funktion als Hauptstadt entstehen.

Liebich: Das tut der Bund schon. Und die Forderung, den gesamten Schuldenberg von anderen bezahlen zu lassen, ist unrealistisch. Damit werden wir auf die Nase fallen. Wir können auch nicht nach Belieben Geld ausgeben, sondern Ausgaben und Einnahmen müssen übereinstimmen. Sonst können wir unsere Klage gleich vergessen. Im wirklichen Leben bekommt man eben nichts geschenkt. Über das Für und Wider der Privatisierungen können wir in diesem Zusammenhang herzhaft streiten.

Den Streit können Sie haben. Die WASG fordert von Ihnen öffentliche Diskussionsrunden, an denen auch Gewerkschaften, Sozialforen und Initiativen der sozialen Bewegungen teilnehmen. Ihre Partei will lieber kleine Expertenrunden, mit freundlicher Unterstützung der Bundesebene. Haben Sie Angst vor einem öffentlichen Tribunal?

Liebich: Nein, und deshalb werden wir diese Gespräche auch führen. Aber wir müssen uns doch vorher überlegen dürfen, wie diese Gespräche aussehen sollen.

Bei allem Streit über Privatisierungen, Personen und „Gurkentruppen“: Welche Gemeinsamkeiten teilen Ihre Parteien?

Heiser: Eine Menge. Beide Seiten traten im Bundestagswahlkampf mit einem Programm gegen Sozialabbau an. Dazu kommt die Ablehnung von Kriegseinsätzen deutscher Soldaten im Ausland. Außerdem das Nein zur unsozialen EU-Verfassung.

Liebich: Das sind alles Punkte, bei denen es keinen Streit mit der WASG gibt. Aber es gibt durchaus viele kleine Dinge, in denen wir uns noch nicht einig sind.

Mit welchem Flügel der WASG wollen Sie eigentlich verhandeln?

Liebich: Die WASG ist eine demokratische Partei, also verhandeln wir mit dem Landesvorstand.

Aber der derzeitige Landesvorstand scheint gar nicht an einer Fusion interessiert zu sein.

Heiser: Der Vorstand hat die Beschlüsse des Landesdelegiertenrats umzusetzen. Und dort haben wir beschlossen, alle Voraussetzungen für die Abgeordnetenhauswahlen 2006 vorzubereiten.

Die Berliner WASG hat 700 Mitglieder, die Linkspartei in der Stadt fast 10.000. Wie wollen Sie verhindern, dass die WASG nicht geschluckt wird?

Heiser: Ich wünsche mir sehr, dass die PDS nicht auf die Idee kommt, uns zu schlucken. Denn wir sind schwer verdaulich. Es geht doch darum, gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Da müssen alte Streitereien hintanstehen.

Liebich: Ich bin ein großer Verfechter des Mitgliederprinzips. Das wird darauf hinauslaufen, dass ein Mitglied eine Stimme hat.

Also doch schlucken.

Liebich: Aber nicht doch. Im Westen wird die WASG stärker sein und einige unserer Genossen dort werden schwer zu leiden haben. Im Osten wird es halt andersherum sein. Aber wir können ja kein Prinzip einführen, wo ein ehemaliger WASG-Delegierter zehnmal mehr wert ist als ein PDSler. Das werde ich nicht zulassen. Viele Debatten, die ich für erledigt hielt, werden wir wieder haben.

Heiser: Ich möchte natürlich keine Fusion, bei der alle schwer leiden. Ich bin ein fröhlicher Mensch und ich will eine fröhliche linke Politik entwickeln. Ich bin mir sicher, dass wir es schaffen werden, die unterschiedlichen Identitäten auch bei einer Fusion zu erhalten.

Wie es momentan aussieht, wird es auch in einem Jahr weitergehen mit einem rot-roten Senat. Das hieße, in zwei Jahren säße die WASG im Senat und würde notgedrungen weitere Kürzungen im Sozialbereich mitentscheiden.

Heiser: Das ist in der Tat ein Problem. Ich halte mich da an das russische Sprichwort: Die Küken werden im Herbst gezählt. Nächsten Herbst werden wir Wahlen haben, dann werden wir sehen, was ist. Wir werden auf ein Linkspartei-Wahlprogramm pochen, das gegen Neoliberalismus ist. Ob das Programm mit der SPD in Berlin möglich ist, die bundesweit mit der CDU regiert, werden wir sehen. Unser Projekt, die Verteidigung des Sozialstaats, strebt eine gesellschaftliche Hegemonie an. Wenn wir die erreichen wollen, wird es langfristig ohne eine Sozialdemokratie nicht gehen. Die SPD ist derzeit weit davon entfernt.

Das heißt: Momentan plädieren Sie für eine Oppositionsrolle im Abgeordnetenhaus.

Heiser: Das kann die politische Konsequenz sein.

Liebich: Es geht bei Parteien nicht darum, dass wir uns wohl fühlen, indem wir in der Opposition sind und gegen die anderen sein können. Bei allen Schwierigkeiten muss es uns doch darum gehen, die Gesellschaft nach links zu verschieben. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, dass die Berliner CDU in den Senat kommt. Mit der FDP schon gar nicht. Ich will das mit aller Macht verhindern. Dass Flüchtlinge wieder Bargeld bekommen statt Gutscheine und es Fixerstuben gibt, geht nur mit einer linken Regierung, die nicht nur aus PDS und WASG besteht, sondern auch aus der SPD. Deswegen muss man Kompromisse machen. Ich werde dafür kämpfen, dass wir Rot-Rot nach den nächsten Wahlen fortsetzen.

Was sind zwei Forderungen, wofür es keine Kompromisse gibt?

Heiser: Es muss eine klare Ansage geben, dass neoliberale Politik in Berlin nicht realisiert wird.

Das klingt sehr vage.

Heiser: Es ist ein sehr weiter Begriff, aber auch ein Politikverständnis: Der Staat darf nicht weiter Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge zulassen. Er muss seinen Einfluss sogar wieder stärker wahrnehmen. Hinzu kommt eine Rückkehr zum Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst. Und diese Sparpolitik darf nicht so fortgesetzt werden, „bis es quietscht“. Wir brauchen eine Haushaltspolitik, die der Stadt wieder Luft verschafft.

Liebich: Ein Nein zu neoliberaler Politik in Berlin kann ich voll und ganz unterstützen. Eine Haushaltspolitik zu machen, die uns wieder Luft verschafft – genau das ist unser Ziel. Insofern sind wir uns doch einig.

Welche zwei Forderungen sind dann für Sie obligatorisch?

Liebich: Ich habe nur eine: Ich wünsche mir, dass wir in den kommenden Wahlen nicht gegeneinander antreten.