Guter Flow gegen das Trauma

Olympische Spiele 2016 Nach der Pleite der deutschen Schwimmer vor vier Jahren ist Cheftrainer Lambertz zuversichtlich, dass sein Team in Rio weniger Versagensängste hat

In seinem Element: Brustschwimmer und deutsche Medaillenhoffnung Marco Koch bei der EM im Mai in London Foto: ap

aus rio andreas morbach

Rechtzeitig vor dem Karriere­high­light hat Marco Koch mal wieder sein Titelbild aktualisiert. Auf seinem Facebook-Account posiert der 26-jährige Brustschwimmer neuerdings am Strand von Florianopolis, in lässigen Shorts, barfuß – und auf dem glitzernden Meer im Hintergrund schaukeln sanft ein paar Boote. Es wirkt wie ein Schnappschuss aus dem Urlaub – doch in Wahrheit verpasst sich Koch in der 400.000-Einwohner-Stadt an der brasilianischen Atlantikküste gerade den letzten Schliff für die Spiele.

Das Gros der deutschen Bahnenzieher hat das Trainingscamp in Florianopolis am Montag Richtung Rio verlassen, Marco Koch aber bleibt noch ein bisschen an dem idyllischen Fleckchen 1.100 Kilometer südwestlich der Olympiastadt. Denn er hat aus seiner Premiere im Zeichen der fünf Ringe gelernt. Vor vier Jahren reiste der gebürtige Darmstädter viel zu früh nach London – und beim großen Einsatz über 200 Meter Brust war die Spannung dann futsch, Koch schied im Halbfinale als 13. aus.

Das soll dem Weltmeister nicht noch mal passieren. Sein Flug nach Rio ist für den 6. August geplant, schon drei Tage später stehen die Vorläufe auf seiner Spezialstrecke an. Wegen der starken Konkurrenz über die vier Bahnen Brust weist Koch seine Rolle als Mitfavorit erst mal dezent von sich. „Man muss wohl Weltrekord schwimmen, um zu gewinnen“, orakelt er. „Und ich glaube, es werden mehr als nur einer in der Lage sein, in diesen Bereich zu kommen.“

Bei seinem WM-Sieg im russischen Kazan blieb der leidenschaftlichste Tüftler unter den deutschen Schwimmern 75 Hundertstelsekunden über der globalen Bestmarke des Japaners Akihiro Yamaguchi (2:07,01 Minuten). In der aktuellen Weltjahresbestenliste liegt Koch auf Rang zwei, ebenso wie Franziska Hentke über 200 Meter Schmetterling. Und auch Paul Biedermann, dritter Medaillenkandidat des DSV, liegt im olympischen Jahr als Viertschnellster über 200 Meter Freistil recht gut im Rennen.

Sein Seelenfrieden hänge nicht von olympischem Edelmetall ab, macht Biedermann vorab jedoch klar. An seinem 30. Geburtstag stehen auf seiner Paradestrecke Vorläufe und Halbfinals an – und wie Marco Koch kennt auch der Doppel-Weltmeister von 2009 seinen Kardinalfehler bei der Londoner Olympia-Ausgabe. Er konstatiert: „Ich hatte mir zu viel Druck gemacht, das hat sich am Ende gerächt. Deshalb geht es diesmal auch darum, noch zu genießen.“

Von Genuss konnte vor vier Jahren keine Rede sein: Bei den Beckenwettbewerben im Londoner Aquatics Centre krabbelten die DSV-Schwimmer mit null Medaillen aus dem Pool, ein historischer Tiefpunkt für den Verband. Für den notwendigen Neustart wurde Anfang 2013 Henning Lambertz als Chefbundestrainer installiert. Sein Plan: Die Rückkehr an die Weltspitze bis zu den Olympischen Spielen 2020 – mit Rio als wichtigem Zwischenschritt und zugleich der Chance, das Trauma von London zu überwinden. Mit zwei, vielleicht drei Medaillen.

„Man muss wohl Weltrekord für Gold schwimmen“

Weltmeister Marco Koch

Marco Koch, Franziska Hentke und Paul Biedermann kennen ihren Auftrag – doch Lambertz weiß auch: „Diese Ranglisten sind leider nicht sehr aussagekräftig. Denn bei den Top-Events merkt man immer wieder, dass das alles eigentlich Schall und Rauch ist.“ Als Zweiter in der Weltjahresbestenliste habe man durchaus Chancen aufs Finale. „Aber mit mehr sollte man erst mal nicht rechnen.“

Hinzu kommt, dass die DSV-Kräfte aus der zweiten Reihe zwar gute bis exzellente Perspektiven haben – vor allem aber mit Blick auf Tokio 2020. Die meisten von ihnen dürften in Rio viel mit sich selbst zu tun haben, erleben sie dort doch ihre olympische Feuertaufe. „Im Vorfeld weiß man deshalb nicht genau, wie nervös sie sind. Es ist eben ein sehr großer Unterschied, wenn man sein Mittagessen in der Mensa plötzlich neben Usain Bolt einnimmt. Das kann dazu führen, dass Athleten womöglich nicht mehr die letzte Fähigkeit zur Konzentration mitbringen. Da müssen wir aufpassen. Denn so etwas kann man nicht üben – Olympia hat man eben nur alle vier Jahre“, warnt Lambertz.

Bei aller Vorsicht vertraut der 45-Jährige aber auch auf die Fortschritte der letzten Jahre. „Ich glaube“, sagt er, „dass wir mittlerweile ein Stammteam haben, das nicht mehr so große Versagensängste in sich trägt, wenn es zu Top-Events geht. Wir müssen die positive Stimmung, die dieses Team hat, einfach oben halten, die Athleten in einem guten Flow lassen.“