Zurück zu den Wurzeln

Nach Joschka Fischer hat sich jetzt auch Gerhard Schröder zum Abschied in die Nestwärmeseines ursprünglichen Milieus begeben. Wohin will wohl Angela Merkel dereinst heimkehren?

VON RALPH BOLLMANN

Eigentlich wollten die beiden 2006 wieder gemeinsam antreten, jetzt legen sie wenigstens noch den gleichen Abtritt hin. Joschka Fischer kehrte am Ende seiner bundespolitischen Karriere zu den Wurzeln zurück und gab sein vorerst letztes Interview der taz, Gerhard Schröder verkündete den endgültigen Abschied von Regierungsämtern, mit Tränen in den Augen, auf einem Gewerkschaftskongress: „Ich weiß, wo ich herkomme, und deswegen weiß ich auch, wo ich hingehöre.“

Die Einsicht kam in beiden Fällen ziemlich spät. Sieben Regierungsjahre lang hatte das Publikum doch eher den Eindruck, die beiden wollten von ihren Wurzeln lieber weg. Fischer warb im Dreiteiler um Anerkennung in der großen weiten Welt, Schröder gab mit Cohiba und Brioni-Anzug den viel zitierten „Genossen der Bosse“. Wenn Fischer auf dem Weg zu Grünen-Parteitagen eilig die Krawatte ablegte oder Schröder auf die SPD-Kongressen die Parteigeschichte referierte, dann erschienen sie oftmals wie schlechte Schauspieler in eilig einstudierter Pose.

Beide feierten im konservativen Lager lange Zeit Erfolge. Fischer galt über alle Parteigrenzen hinweg als Deutschlands populärster Politiker, und um Schröder herum drängelten sich die Chefs der deutschen Großkonzerne. Beide gewannen diese Anerkennung eher trotz als wegen ihrer Zugehörigkeit zum rot-grünen Lager. Während sie in den eigenen Reihen als Verräter galten, hieß es draußen oft: Richtiger Mann, falsche Partei.

Beide musste am Ende aber auch erfahren, dass eine solche Art von Beifall höchst trügerisch sein kann. Gleich zweimal, in den vermeintlichen Affären um Steinwürfe und Visa, erfuhr der sonst unangreifbare Fischer den geballten Hass der Konservativen. Und Schröder erlebte im Wahlkampf, dass vielen Wirtschaftsführern im Ernstfall die Union doch näher steht als ein Reformkanzler der SPD. Stellvertretend dafür steht das kolportierte Kanzlerwort über den früheren Siemens-Chef Heinrich von Pierer, der umstandslos zu Merkel überlief: „Heinrich, mir graut vor dir.“

Es wäre freilich zu einfach, die plötzliche Versöhnung der scheidenden Amtsträger mit ihrem Herkunftsmilieu ausschließlich persönlichen Enttäuschungen zuzuschreiben. Nicht nur die Spitzenpolitiker entfremdeten sich von der Basis, nein, sie wurden von ihrer Basis auch dazu gedrängt. Gerade auf der linken Seite des politischen Spektrums fanden sich die schärfsten Kritiker des Spitzenpersonals schon immer im eigenen Lager. Da hätte Schröder gar nicht seine Agenda ausrufen müssen und Fischer nicht den Kosovo-Krieg führen. Hätten sie dem Vorwurf entgehen wollen, Verräter zu sein, dann hätten sie in die Regierung gar nicht erst eintreten dürfen.

Bezeichnend dafür ist, dass die Liebe der Genossen zu Schröder just in jenem Moment wieder erwachte, als der Kanzler selbst den Weg aus der Regierungsverantwortung de facto vollzogen hatte: mit der Entscheidung für Neuwahlen am 22. Mai. Das erscheint paradox, weil Schröder seiner Partei mit dieser Entscheidung, nun ja, nicht gerade genutzt hat. Aber die linke Sehnsucht nach Opposition war stärker.

Immerhin: Die beiden hatten ein Milieu, von dem sie sich abwenden, zu dem sie zurückkehren konnten – im Gegensatz zur künftigen Kanzlerin. Weit mehr noch als Schröder und Fischer ist die Angela Merkel eine Frau der gebrochenen Identitäten. Eine Ostdeutsche, die über ihre ostdeutsche Herkunft am liebsten nicht redet; eine Frau, die ihr Geschlecht allenfalls in höchst dosierter Form thematisiert; eine Liberale, die einer wirtschafts- wie gesellschaftspolitisch eher konservativen Partei vorsteht; eine kühle Naturwissenschaftlerin, die auf einmal Emotionen wecken soll.

Auch Merkel stößt auf den stärksten Widerstand vor allem in jenen Milieus, denen sie eigentlich angehört. Viele Frauen wollen zwar angeblich eine Frau im Kanzleramt, aber eben nicht diese; eine Mehrheit der Ostdeutschen wünscht sich mehr ostdeutsche Führungskräfte, findet aber, diesmal sei es nun wirklich die falsche. Recht machen könnte es Merkel ihnen vermutlich so wenig wie Schröder einst seinen Genossen.

Neu ist aber, dass Merkel auch in der konservativen Stammklientel nicht wirklich heimisch ist. Das Leiden an der Macht, das auf der Linken das Verhältnis von Regierenden und Regierten so spannungsreich macht, hat es im rechten Lager nie gegeben. Niemand in der Union hat die Kanzlerschaft Adenauers oder Kohls als Zumutung empfunden.

Das ist bei Merkel anders. Niemand kann sich heute so recht vorstellen, in welches heimatliche Milieu sie nach einem Ende ihrer Kanzlerschaft dereinst zurückkehren könnte. Am ehesten wäre vorstellbar, dass sie ihren Abgang auf einer Tagung für Quantenchemie inszeniert. Schließlich hat sie schon an ihrem 50. Geburtstag zum Vortrag eines Hirnforschers geladen.