Der mit „Who the F**k is Alice“

GendarmenmarktII Besuch beim Konzert des irischen Barden Chris de Burgh

Mir tut der große Zeh weh, und beim Gehen muss ich aufpassen, die Innenseite des Fußes nicht zu belasten. Während ich davon ausgehe, mir den Zeh beim Fußballspielen verstaucht zu haben, meinte der Arzt, es könne sich auch um Gicht handeln, und erklärte seinem syrischen Kollegen auf Englisch, dass ich gern rauche, Bier trinke, Fleisch esse, erhöhte Cholesterinwerte und solche Geschichten. Warum humpele ich durch die Gegend, anstatt gemütlich in meiner Wohnung bei 35 Grad in der Abendsonne Gesundheitszigaretten zu rauchen? Weil ich einen Auftrag habe. Mit Auftrag hat das Leiden einen Sinn.

Chris de Burgh spielt am Gendarmenmarkt. War das nicht der, der „Who the Fuck is Alice“ gesungen hatte? Kenn ich den nicht von Radio Paradiso? Oder Gold FM? Ich bin mir nicht ganz sicher, aber werde es sicher gleich erfahren. Besonders angesagt scheint Chris de Burgh nicht zu sein. Um den Deutschen Dom herum sitzen nur einige Dutzend Menschen im Gras. Von Weitem, von der Bühne her vor dem Schauspielhaus, zählt ein Conferencier die hilfreichen Sponsoren auf.

Der Gendarmenmarkt, vor dem eigentlichen Zuschauerraum, ist dann doch ziemlich voll. In vierzehn Reihen sitzen Zuschauer etwa auf der Taubenstraße, die meisten auf bunten Faltstühlen mit Getränkehaltern. Andere sitzen in Gruppen auf Decken mit Essen und Sekt meist herum. Reclaim the street. Daneben Restaurantgäste an ihren weiß gedeckten Tischen.

Die meisten sind eher über 50. Es gibt aber auch jüngere. Leute mit Chris de Burgh-T-Shirts sucht man vergebens. Beim Herumgehen trifft man auf andere herumgehende Einzelbesucher; einen jungen Mann im Abbey-Road-T-Shirt, eine Frau mit einem Bauchladen mit kleinen Stoffbärchen, die sich sehr schick gemacht hat (goldene Schuhe), dürre Männer in karierten Hemden, die es juckt, irgendwie auf das Zuschauergelände zu kommen, Fotografen auf der Suche nach originell aussehenden Menschen und so weiter.

Erotische Massagen

Der Pfeil auf einem schwarzen Schild an einem Laternenpfahl weist nicht nur Richtung „Salon Rouge“, der auf erotische Massagen spezialisiert ist, sondern auch Richtung Chris de Burgh, der gerade angefangen hat zu singen.

Er singt „What shall we do with the drunken sailor?“ und fragt danach „Wie geht’s?“ Niemand antwortet, also noch mal: „WIE GEHT’S?“ Einige antworten „Good“, andere „Gut“. „Es ist wunderbar, mit Ihnen zusammen zu sein.“ Den Rest versteht man nicht. Es ist wahnsinnig leise.

Wo vor dem Konzert noch die Kasse war, sitzen Leute, die man noch aus Schlingensief-Aufführungen kennt. Der freundliche, etwas windschiefe Peter Müller zum Beispiel. In „Kunst und Gemüse, A. Hipler“ hatte er 2004 den Johannes Heesters gespielt. Wir kennen uns seit 30 Jahren und sind uns immer wieder mal auf Ausstellungseröffnungen begegnet. Kunst ist sein Leben. Es gibt wohl niemanden, der so viele Kulturveranstaltungen besucht hat wie Müller.

Mittlerweile ist er schon achtzig. Weil er immer alles so schnell vergisst, begrüßt er einen mit einem freundlichen „Kennen wir uns nicht?“ Dann fällt es ihm ein. Ihm gefällt das Konzert gut.

Dann ist die erste Hälfte des Konzerts zu Ende. „Meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Pause ist beendet. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze wieder ein.“ Klassisch-kitschig mit Streichern und Bläsern beginnt die zweite. Zwei Pferde traben mit einer Kutsche vorbei. Die Frau mit den Bärchen geht ihrer Wege. Ein kleiner Junge probiert seinen ferngesteuerten Bagger aus. Langsam wird es dunkler. Chris de Burgh singt immer noch. Detlef Kuhlbrodt