Jammern reicht nicht

Karlsruhe lehnt Länderklage gegen Gesundheitsgesetz von 2002 ab. Pillenhändler waren gar nicht bedroht

FREIBURG taz ■ Spargesetze im Gesundheitswesen sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sich betroffene Berufsgruppen in ihrer Existenz bedroht fühlen. Das Verfassungsgericht schreitet nur ein, wenn es „Belege“ für eine Existenzbedrohung gibt. Dies stellte gestern der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts klar und lehnte die Klage Baden-Württembergs und des Saarlands gegen das rot-grüne „Beitragssicherungsgesetz“ von 2002 ab.

Dieses Gesetz sollte helfen, die Beiträge der Krankenkassen stabil zu halten, indem unter anderem den Apothekern, Zahntechnikern und Pharmagroßhändlern Rabatte zugunsten der Krankenkassen auferlegt wurden. Drei Milliarden Euro sollten diese so einsparen. Die beiden unionsregierten Länder Baden-Württemberg und Saarland rügten: Der Bundesrat hätte dem Gesetz zustimmen müssen, und die Grundrechte der betroffenen Berufsgruppen seien verletzt.

Der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel hatte seine Klage öffentlichkeitswirksam nach einem als „Landes-Gesundheitsgipfel“ apostrophierten Gespräch mit Lobbygruppen angekündigt. „Wir sind ein wichtiger Pharma-Standort in Deutschland“, erklärte Teufel: „Jeder fünfte Pharma-Euro wird in Baden-Württemberg erwirtschaftet.“ Und die Klagen der Lobbygruppen waren massiv. Gehe, der zweitgrößte deutsche Arzneimittelgroßhändler, hatte die Abschläge als schlichtweg erdrückend dargestellt. Die Apotheker hatten die Schließung von tausenden von Apotheken und den Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen vorausgesagt.

Gestern kommentierte Karlsruhe trocken: Mehr als zwei Jahre, nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, hätten sich die vorgetragenen Prognosen der Verbände „soweit ersichtlich nicht bewahrheitet“. Auch der Vorwurf, die zahlreichen Spargesetze führten zu einer nicht hinnehmbaren „additiven Gesamtbelastung“ für Apotheken, wies Karlsruhe zurück. Hierbei handele es sich um „nicht näher belegte Vermutungen“, kritisierten die Richter. Die Stabilität der Krankenversicherung sei dagegen ein „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“, weshalb die Kürzungen gerechtfertigt seien. Schon Anfang 2003 hatte das Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Substanz abgelehnt.

Ausführlich begründeten die Verfassungsrichter auch, dass das Gesetz nicht durch den Bundesrat musste. Baden-Württemberg und das Saarland hatten argumentiert, der Bundestag habe eine zustimmungspflichtige Verordnung per Gesetz geändert und so den Bundesrat umgangen. Das Verfassungericht sah kein Problem: Der Gesetzgeber dürfe Gesetze beschließen, und das Beitragssicherungsgesetz sei eben nicht zustimmungspflichtig gewesen. Das 75-seitige Urteil (Az.: 2 BvR 2/03) erging einstimmig. CHRISTIAN RATH