Mut- und Neidprobe für die Kanzlerin

Die rote Ministerriege kommt bei der Union gut an: „Keine Ideologen“. Mit ihren schnellen Personalentscheidungen hat die SPD allerdings Angela Merkel unter Druck gesetzt: Nun muss auch sie schnell ihren Teil der Regierungsmannschaft präsentieren

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Die Sozialdemokraten haben mit ihrer schnellen Postenverteilung für sehr gemischte Gefühle im Lager von Angela Merkel gesorgt.

Reaktion Nummer eins: Erleichterung. „Das sind zum Großteil Leute, mit denen wir arbeiten können“, heißt es in Merkels Umfeld über die rote Ministerriege. Vor allem Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier wurden herzlich begrüßt. Die Aspiranten für das Finanz- und Außenministerium seien „problemorientiert“ und „keine Ideologen“. Auch dem wichtigsten Sozialdemokraten im Kabinett, Franz Müntefering, wird „Veranlagung zu No-nonsense-Politik“ zugebilligt. No-nonsense – das bedeutet im Merkelianer-Sprech: keine dauerhafte Blockade von Reformen. Und reformieren, das wollen die Merkelianer nach wie vor. Das schlechte Wahlergebnis der Union hat sie in ihrem Tatendrang vorerst gebremst, aber keineswegs vom Glauben an die wirtschaftsliberale Heilslehre abfallen lassen.

Gefühlsregung Nummer zwei ist deshalb: Hoffnung, dass Merkel mit Hilfe der Steinmeiers und Steinbrücks doch eine „Reformkanzlerin“ werden kann. „Aufgrund der Fakten“, gibt man sich überzeugt, „muss vor allem die SPD lernen, in die Realität zurückzukehren.“ Mit der Heuschrecken-Kritik Anfang des Jahres habe die SPD wie ein Alkoholiker zur Flasche gegriffen. Seitdem sei sie „im Vollrausch gewesen“ und habe linke Propaganda pur verkündet. „Jetzt muss man die ausnüchtern.“ Sollte dies nicht sofort gelingen, dann eben Schritt für Schritt. Bei den Koalitionsverhandlungen wird die Union versuchen, so viele Hintertürchen für Reformen frei zu lassen wie nur möglich. Dies könne gelingen, glaubt man im Merkel-Lager, indem man auf Radikalmaßnahmen wie Kopfsteuer und -pauschale verzichtet, aber „klare Ziele festschreibt“. Beispiel: deutliche Senkung der Lohnnebenkosten. Um dieses Ziel zu erreichen, komme auch die SPD irgendwann nicht mehr umhin, ihrer Klientel etwas zuzumuten. So hält die Union an ihrem Vorhaben fest, den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung einzufrieren. Also die paritätische Kostenteilung zwischen Arbeitern und Unternehmern endgültig aufzuheben. Zweifel an der Erreichbarkeit dieses Ziels weckt allerdings die erneute Nominierung von SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Die sei „ein harter Knochen“.

Ihre eigene Regierungsmannschaft wollte Merkel eigentlich erst präsentieren, „wenn ich fertig bin mit Denken und Sprechen“. Nach dem Vorpreschen der SPD muss sie sich beeilen. Spätestens am Montag, wenn die Koalitionsverhandlungen beginnen, braucht sie ein Team, mit dem sie der SPD gegenübertreten kann. Das sorgt in der Union für Gefühl drei: Nervosität: „Es wird viele Enttäuschte geben.“

Für Merkel ist die Personalauswahl auch eine Mutprobe. Entscheidet sie sich überwiegend für Loyale oder für politische Schwergewichte? Wolfgang Schäuble etwa würde gerne Fraktionschef werden. Doch nimmt Merkel das Risiko in Kauf, dass er seine Erfahrung und Autorität eines Tages gegen sie nutzen könnte? Als wahrscheinlicher galt gestern ein Innenminister Schäuble. Doch da hat auch noch CSU-Chef Edmund Stoiber mitzureden, der am liebsten Günther Beckstein in Berlin unterbringen möchte.

Der Anblick ihres Kollegen Müntefering, der bei der SPD fast alles allein entscheiden kann, dürfte bei Merkel deshalb vor allem ein Gefühl auslösen: Neid.