Knapper Sieg trotz großer Verluste für die Regierung

Australien Die Konservativen um Premier Turnbull gewinnen die Wahlen. Regieren wird schwer

Aus Brisbane Urs Wälterlin

Die Enttäuschung stand dem australischen Oppositionsführer Bill Shorten, 49, ins Gesicht geschrieben, als er während einer Pressekonferenz am Sonntag in Melbourne die Niederlage seiner sozialdemokratischen Partei eingestand. „Es ist klar, dass Herr Turnbull und seine Koalition die neue Regierung bilden werden“, so der Oppositionsführer. Er habe seinen Gegenspieler angerufen und ihm gratuliert. Wenig später erklärte sich Premierminister Malcolm Turnbull, 61, zum Sieger. „Wir haben die Wahl gewonnen“, meinte er. Noch am Samstag hatte sich Shorten geweigert, den Sieg der Konservativen anzuerkennen.

Seine Zurückhaltung hatte einen guten Grund: Auch am Sonntag – mehr als eine Woche nach den Wahlen – stand das endgültige Ergebnis nicht fest. Die bisherige Regierung konnte sich zwar 74 der 150 Sitze im Unterhaus sichern, Labor 66. Turnbull benötigt aber mindestens 76 Sitze, um eine wenigstens hauchdünne Mehrheit zu haben. In den letzten Tagen hatte er mit drei Vertretern kleinerer Parteien gesprochen und sich deren grundsätzliche Unterstützung gesichert.

Die Unsicherheit über den definitiven Wahlausgang dürfte noch einige Tage anhalten. Bis Sonntag stand nicht fest, an wen die Stimmen in fünf Wahlkreisen gegangen sind. Laut der australischen Wahlkommission sind die Ergebnisse derart knapp, dass Wahlzettel mehrfach gezählt werden müssen. Diese Arbeit werde noch bis kommende Woche dauern.

Welche Konsequenzen das enttäuschende Ergebnis für die Zukunft von Malcolm Turnbull haben wird, ist unklar. Der ehemalige Investmentbanker, Geschäftsmann und Anwalt hatte im September letzten Jahres gegen seinen streng konservativen Vorgänger Tony Abbott geputscht. Turnbull galt als liberal denkender Politiker – das verschreckte konservative Wähler. Dennoch hielt er an den meisten von Abbott eingeführten politischen Maßnahmen fest – was wiederum Progressive frustrierte.

Die anhaltende Unsicherheit über die Nachfolge in Canberra hatte in den Tagen nach der Wahl spürbare Konsequenzen für die Wirtschaft. Zuerst sah sich Moody’s Investor Service dazu veranlasst, Australien vor einem potenziellen Verlust des seit 2003 geltenden AAA-Ratings zu warnen. Kurz danach senkte Standard & Poor’s (S&P) den Ausblick der australischen Kreditwürdigkeit von „stabil“ auf „negativ“. Die Agenturen fürchteten, die reduzierte Mehrheit im Parlament könnte die Konservativen dazu zwingen, dringend notwendige Reformen – etwa des Steuersystems – zu vernachlässigen.

Es dürfte für die Konservativen schwierig werden, sich im Parlament durchzusetzen. Sie sehen sich einer Situation gegenüber, die Malcolm Turnbull vor dem Urnengang als „Albtraum“ bezeichnet hatte – chronische Instabilität. Vor den Wahlen hielt die Koalition 90 der Abgeordnetenplätze im Unterhaus, eine komfortable Mehrheit gegenüber Labor mit 55 Sitzen. Im Oberhaus dagegen blockierten Splitterparteien und Labor wichtige Vorlagen – ein Grund, weshalb Turnbull beide Parlamente auflöste und Neuwahlen ausrief.

Entgegen seinen Erwartungen hat sich die Zahl von Senatoren von Splitterparteien wahrscheinlich verdoppelt. Das politische Spektrum der neuen Volksvertreter schillert in allen Farben. Das größte Kopfzerbrechen wird Regierungsstrategen die Rassistin Pauline Hanson bereiten. Ihre Partei „One Nation“ schaffte es wahrscheinlich mit mehreren Abgeordneten ins Oberhaus. Das hat in den letzten Tagen vor allem chinesische Einwanderer und Investoren alarmiert. Sprecher warnten vor einem Wiederaufflammen von „rassistisch motiviertem Hass“.