Türkei

Teile des Militärs haben versucht, die Macht an sich zu reißen. Wer genau beteiligt war, bleibt offen. Aber die Regierung schlägt großflächig zurück

Der Gegner für alle Fälle

Aussenpolitik Die Türkei legt sich mit den USA an und fordert Auslieferung des Islamisten Gülen. Beweise für seine Schuld fehlen

ISTANBUL taz | Es war ein bemerkenswerter Satz, den Ministerpräsident Binali Yıldırım am Samstag im türkischen Parlament von sich gab. „Jedes Land“, sagte er, „das jetzt noch Fethullah Gülen und seine Bewegung unterstützt, werden wir als im Kriegszustand mit der Türkei betrachten.“ Der 75-jährige Fethullah Gülen, Prediger und Guru der nach ihm benannten islamistischen Bewegung, war schon unmittelbar nach dem Putschversuch von Präsident Recep Erdoğan als Drahtzieher angeprangert worden.

Doch zum Ärger Erdoğans kommt er nicht an Gülen her­an, denn dieser lebt in den USA. Noch in der Putschnacht forderte Erdoğan zum wiederholten Mal, die Obama-Administration müsse Gülen an die Türkei ausliefern. US-Außenminister John Kerry entgegnete noch am Samstag, die türkische Regierung werde ja wohl Beweise für die Schuld Gülens vorlegen, die geprüft werden könnten.

Stattdessen erhöhten Erdo­ğan und Yıldırım den Druck. Wenn Gülen nicht ausgeliefert werde, hieß es aus der Regierung, müsse man davon ausgehen, dass die USA an dem Putschversuch beteiligt gewesen seien. Kerry ließ daraufhin erklären: „Andeutungen über jedwede Beteiligung der USA an dem gescheiterten Putschversuch sind völlig falsch und schädlich für unsere bilateralen Beziehungen.“

Bemerkenswerte Sätze unter Nato-Freunden, zumal der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu einräumte, er habe im Gespräch mit Kerry die Auslieferung Gülens nicht förmlich verlangt. Die türkische Regierung ist offenbar weder willens noch in der Lage, detaillierte Beweise gegen Gülen vorzulegen.

Stattdessen zeigt Erdoğan den Nato-Verbündeten schon mal, wo er die Daumenschrauben ansetzen kann. Der Luftwaffenstützpunkt Incirlik, eine der wichtigsten Basen im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, wurde vorübergehend geschlossen. Dort starten ein Teil der US-Bomber nach Syrien und in den Irak, sowie die Aufklärungstornados der Bundeswehr. Der türkische Kommandeur von Incirlik, General Bekir Ercan Van, wurde als mutmaßlicher Putschist festgenommen.

Dass es Erdoğan im Streit mit den USA tatsächlich nur um eine Auslieferung von Fethullah Gülen geht, ist sehr fraglich. Gülen lebt seit Ende der 90er Jahre in Pennsylvania und leitet von dort seine weltweit tätige islamische Bewegung. Einst war er sehr eng mit Erdoğan und dessen Partei AKP verbandelt. Seit dem Bruch 2013 machte Erdoğan die Gülen-Sekte für alles verantwortlich, was ihm zuwiderläuft. Sie wird sogar als terroristische Vereinigung verfolgt.

Als Erdoğan 2002 an die Macht kam, profitierte er noch vom erheblichen Einfluss der Sekte in Justiz und Polizei. Nur in der Armee bekamen die Islamisten keinen Fuß auf den Boden. Dass jetzt ausgerechnet säkulare Putschisten, die laut ihrem Kommuniqué die weitere Islamisierung des Landes verhindern wollten und im Auftrag von Gülen unterwegs gewesen sein sollen, ist sehr unwahrscheinlich. Jürgen Gottschlich