Quellen richtig interpretieren

Ein studierter Historiker hat sich als „Geschichtsberater“ selbständig gemacht. Seither nutzt er seine Kenntnisse, um Auftraggebern zu mehr historischer Wahrheit oder zu einer guten Geschichte für die Unternehmenspräsentation zu verhelfen

VON KAI KOLLWITZ

Christoph Blase geht gern ins Kino. Besonders Historienstoffe haben es dem 42-jährigen Berliner angetan. Nicht zuletzt berufsbedingt – Blase ist studierter Historiker. So kann er aus dem Stand zehnminütige Vorträge darüber halten, was in Filmen alles nicht stimmt: „In ‚Der Untergang‘ zum Beispiel, da gibt es die Szene, in der Hitler vor dem Führerbunker steht und Hitlerjungen auszeichnet – er hat die falsche Mütze auf“, erinnert sich Blase mit Schaudern. „Das Foto mit der Originalszene gibt es überall – es ist eins der berühmtesten überhaupt, weil es auch eins der letzten ist, die es von Hitler gibt. Man hätte nur nachschauen müssen.“

Wenn er einmal warmgelaufen ist, dann sprudeln die Beispiele aus der Filmgeschichte nur so aus seinem Mund: falsche Uniformen, falsche Dienstgrade, falsche historische Bauten. Keine Kleinigkeiten, findet er: „Inzwischen lernen die Leute Geschichte vor allem aus Filmen und Fernsehen. Und wenn da eine falsche Tatsache einmal in der Welt ist, dann kann man sie kaum noch korrigieren.“

Aber sich zu laut beschweren, das dürfte er eigentlich auch nicht. Denn immerhin war es ein Film, der Blase auf seinen jetzigen Beruf gebracht hat: „Gladiator“. Aus dem Blickwinkel des Historikers war der Streifen dermaßen schlecht, dass Blase aus dem Kino kam und wusste, was er nun tun wollte: „Ich habe im Internet geguckt, welche Adressen noch frei waren. Geschichtsberatung.de gab es noch. Das ist leicht zu merken und man muss nicht viel buchstabieren.“

Blases Konzept: die während seines Studiums erworbenen Kenntnisse einsetzen, um Auftraggebern zu mehr historischer Wahrheit oder zu einer guten Geschichte für die Unternehmenspräsentation zu verhelfen. Unter den Kunden findet sich zum Beispiel ein großes Maklerunternehmen, für das der Historiker den Jahresbericht aufpeppte – mit einem Text zum Thema „wie die Kelten gebaut haben“. Für die PR-Agentur Querverbindung recherchierte der Historiker die Geschichte des Regionalexpress RE1 der Bahn. „Die Geschichte hinter Geschichte finden“, beschreibt Blase die Vorgehensweise. Zum Beispiel für den Berliner Elektroanbieter Innova: „Die haben am Theodor-Heuss-Platz eine neue Niederlassung eröffnet. Das hätte bei den Medien aber niemanden interessiert. Also haben wir als Erstes herausgefunden, dass das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg den britischen Offiziersclub beherbergt hat und vom gleichen Architekten entworfen wurde wie das Olympiastadion. Das war nett – reichte aber noch nicht. Aber schließlich stellte sich heraus, dass sich in dem Komplex das erste deutsche Fernsehstudio befunden hatte und dass auf dem Dach die erste Leuchtreklame in Deutschland montiert war. Ich habe dann noch Fotos gefunden – die Geschichte ist dreispaltig in den Zeitungen gelaufen.“

So etwas macht Blase stolz – und auch die Tatsache, dass er von seiner Arbeit gut leben kann. Angesichts des engen Arbeitsmarkts wird das Überleben in der Nische bei Geisteswissenschaftlern immer mehr zum Mittel der Wahl: Philosophen bieten Lebensberatung an, Historiker spezialisieren sich auf Unternehmensgeschichten und Journalisten auf private Biografien. Denn: Nur 55 Prozent der Absolventen haben ein Jahr nach dem Abschluss eine feste Stelle gefunden, ermittelte die Hochschul-Informations-System GmbH im Auftrag des Bildungsministeriums in einer aktuellen Studie. Zehn Prozent jobben demnach, 12 Prozent machen eine weitere Aus- oder Fortbildung und knapp zehn Prozent halten sich mit Werkverträgen oder Auftragstätigkeiten über Wasser.

„Selbstständigkeit ist ein steiniger Weg, der gut überlegt sein muss“, warnt zwar die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung. Doch Christoph Blase hat seinen Entschluss bisher nicht bereut. Allerdings hat er nicht bei null angefangen: Nach dem Studium absolvierte er zunächst ein Zeitungsvolontariat und arbeitete dann unter anderem für die PR-Agentur Publicis sowie das Pressehaus Berlin. Deshalb konnte mit seinem Beratungskonzept in Sachen Geschichte auf bereits vorhandene Kontakte zurückgreifen. Weitere Aufträge kommen über seine Website, über Mundpropaganda oder dadurch zustande, dass er gezielt Unternehmen anspricht, bei denen ein Jubiläum ansteht.

Doch Geschichtsberater Blase rät auch Anfängern dazu, ihren eigenen Weg zu gehen: „In Deutschland gibt es ungefähr 40.000 PR-Berater, aber vielleicht zehn Agenturen, die sich im weitesten Sinne mit Geschichte beschäftigen. Wer nur auf dem Mainstream reitet, wird häufig verheizt.“

Allerdings: Auch für Blase ist nicht alles so gelaufen, wie er das gerne hätte. Für einen Film durfte er trotz aller einschlägigen Erfahrung noch nie arbeiten. Und das, obwohl er seine Kenntnisse kaum für sich behalten kann: „In ‚Gladiator‘ sind die Römer am Anfang in Germanien. Sie bereiten sich auf einer winzigen Lichtung auf die Schlacht vor, ohne Bewegungsfreiheit, aber dafür mit Gräben, Katapulten und griechischem Feuer. Dabei waren die römischen Legionen darauf ausgerichtet, eine große Fläche zu haben, um ihre ganze Wucht und Disziplin zum Einsatz zu bringen. Außerdem haben die bei einer Feldschlacht nie Katapulte dabeigehabt.“

Und so geht es weiter: falsche Säulen, römische Galeeren, die in Wirklichkeit niemals von Sklaven gerudert wurden, falsche Kleidung bei den Soldaten und Gladiatorenkämpfen, die es so nie gegeben hat: „Die Kämpfe waren damals schon eine hoch entwickelte Unterhaltungsindustrie. Aber die haben den Leuten einfach irgendwelche Fantasiemonturen angezogen, bei denen die Römer damals Weinkrämpfe bekommen hätten.“

Auch ein Auftrag als Geschichtsberater für ein Computerspiel steht noch aus. Aber immerhin konnten die vielen Fehler in „Gladiator“ dem Historiker die Lust aufs Kino bisher nicht austreiben. „Man kann ja nicht sagen, dass alle Filme schlecht gemacht sind“, meint er. Und: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Weitere Infos:www.geschichtsberatung.de