Pssssssst!

Schlaf gut? Oder wieder mal kein Auge zugetan? Die „geruhsame Nacht“ wird immer seltener, Schlafstörungen nehmen zu. In Berlin träumen ab heute 550 Schlafexperten davon, das zu ändern

VON COSIMA SCHMITT

Den deutschen Großstädter plagt die Schlafkrise. Er ruht so kurz wie nie zuvor. Immer öfter sehnt er sich vergebens nach einer durchschlummerten Nacht. Zwar kämpfen Mediziner mit modernstem Know-how gegen das nächtliche Im-Bett-Wälzen. Doch viele werkeln in der Spezialistennische. Dies zu ändern, treffen sich ab heute in Berlin 550 Schlafexperten. Über Fachgrenzen hinweg gründen sie die „World Association of Sleep Medicine“. „Wir schlafen schlechter denn je“, sagt Ingo Fietze von der Berliner Charité. „Dagegen brauchen wir eine Großoffensive.“

In Sachen Schlaf ist Deutschland eine geteilte Nation. Ausgeruhten Ländlern stehen übermüdete Großstädter gegenüber. 13 Prozent der Berliner klagen über Schlafstörungen – aber nur jeder Hundertste in Thüringen und Baden-Württemberg. Die Großstadt ist zu laut, zu hell, zu stressig, sagt Fietze. Und allzu oft lockt das Nachtleben mehr als ein 8-Stunden-Schlaf.

Ohnehin hält der Deutsche wenig vom Lebensquell Schlaf. 1910 ruhte er noch 9 Stunden pro Tag. Heute sind es nur noch 7,2. Gerade der junge Mann gefährdet sich durch Schlafentzug. Er schläft 45 Minuten weniger als die gleichaltrige Frau. Ein gefährliches Manövrieren an der Untergrenze, sagt der Neurologe Göran Hajak. 7 bis 8 Stunden Nachtschlaf seien ein Muss. Er rät daher zum allwöchentlichen Langschlaftag: Einmal alle sieben Tage sollte es einen Morgen ohne Wecker geben. Der säumige Schläfer muss dabei nicht sämtliche Ruhestunden nachholen. Nach einer durchfeierten Nacht etwa genügt es, am nächsten Tag eine Stunde länger zu schlafen, so der Mediziner – und schon ist das Defizit beglichen.

Ein bloßes Zugeständnis an die Kultur hingegen ist der Brauch, das gesamte 8-Stunden-Pensum am Stück zu schlafen. Die Biologie erlaubt auch kürzere Dosen. Einige Völker auf Papua-Neuguinea etwa ruhen mehrmals täglich für kurze Zeit – und leben gleichermaßen erholt.

Insofern ist es medizinisch sinnvoll, dass der Zeitgeist den Mittagsschlaf vom Alte-Leute-Image befreit und zum „Powernapping“ aufgewertet hat. Das ideale Nickerchen dauert 15 Minuten und findet zwischen 12 und 14 Uhr statt – also dann, wenn die Leistungskurve ohnehin auf dem Tiefststand dümpelt. „Allerdings beherrscht nicht jeder die Technik abrupter Entspannung“, sagt Hajak. Dabei kann sie Karrieren fördern. „Erfolgreiche Politiker etwa sind weit häufiger als der Durchschnitt ausgezeichnete Powernapper“, so Hajak.

Über Schlaf oder Nichtschlaf entscheiden allerdings auch die Lebensumstände. Wem eine ungestörte Nachtruhe das Maß aller Dinge ist, der sollte „früh einen wohlhabenden Partner heiraten, sich nie scheiden lassen und einen gut bezahlten 9-bis-17-Uhr-Job wählen, bei dem er nicht gemobbt wird“, sagt Hajak. Doch selbst dann ist er nicht gegen jegliche Schlafstörungen gewappnet. Narkolepsie etwa, eine extreme Müdigkeit am Tag, trifft Menschen ganz unabhängig von Arbeitsstress und Geldbeutel.

Schuld an den Schlafproblemen der Deutschen ist aber auch der Imagewandel. Früher galt eine ausgedehnte Nachtruhe als verdienter Lohn nach den Mühen des Arbeitstags. Heute gilt sie eher als lästiges Zugeständnis an die Bedürfnisse des Körpers, als verlorene Stunden, die die Freizeit schmälern. Umso ärger der Psychostress, wenn sich der Schlaf nicht an den Stundenplan hält und einfach ausbleibt. Dabei widersetzt er sich hartnäckig dem Machbarkeitswahn: „Schlaf ist nicht erkämpfbar. Er muss von selbst kommen“, sagt Göran Hajak.

Ein paar Tricks wissen die Forscher aber doch zu nennen, um das leidige Hin-und-her-Gewälze zu verkürzen. Dreißig Minuten im warmen Badewasser helfen – oder das Tragen dicker Wollsocken. Ein Stunde im Freien pro Tag ist ein Muss. Die Forscher haben einen Regelkatalog für „mehr Schlafhygiene“ verfasst. Ihre Vorschläge: Kein Fernsehen im Bett. Kein Sport vor dem Schlafengehen. Kein intensives Nachdenken nach 20 Uhr. Kein Kaffee am Abend, denn Koffein baut sich erst nach etwa sechs Stunden ab. Vor allem aber sollte der Schlafwillige großstädtischen Ausgehbräuchen widerstehen – wer langweilig lebt, der sichert seine Nachtruhe.