Mit stillem Murren für Iraks Verfassung

Iraks Kurden werden ihren Parteien folgen und für das Grundgesetz stimmen. Zwar ist der Föderalismus nicht die erhoffte Unabhängigkeit, doch konnten die Kurden anders als die Sunniten ihr militärisches Gewicht in politisches Kapital verwandeln

AUS ERBIL UND KIRKUKINGA ROGG

Die Menschen im Irak sind am heutigen Samstag aufgerufen, über die neue Verfassung abzustimmen. Da es zur Annahme landesweit eine einfache Mehrheit braucht, zählt jede Stimme, so auch die der knapp eine Millionen kurdischen Wahlberechtigten. Kurdische Politiker wurden deshalb in den vergangenen Wochen nicht müde, in TV-Sondersendungen die Vorteile des neuen Grundgesetzes zu preisen.

Für die Kurden kann sich das Ergebnis sehen lassen: Ihr Teilstaat wird nach einem Jahrzehnt rechtlicher Unwägbarkeiten legalisiert. Die kampferprobten Peschmerga-Einheiten bleiben erhalten, vor allem aber haben sie den Weg für die Eingliederung Kirkuks in das kurdische Hoheitsgebiet geebnet. Für die Kurden zahlte sich aus, dass sie sich im Gegensatz zur zahlenmäßig etwa gleich starken Minderheit der sunnitischen Araber mehrheitlich an der Wahl im Januar beteiligten. Sie münzten ihr militärisches Gewicht erfolgreich in politisches Kapital um.

Alle Parteien in Kurdistan rufen die Bürger jetzt zu einem Ja auf. Die meisten dort werden dem voraussichtlich folgen, doch viele tun es mit einem stillen Murren. „Für uns Kurden ist diese Verfassung nicht besonders gut“, sagt Sherzad Abdul Kerim Amer. „Die Grenzen von Kurdistan sind darin nicht festgelegt, und der Föderalismus ist nicht das, was wir uns erhofft haben.“

Der Geldwechsler sitzt auf einem kleinen Hocker auf dem Gehweg im Basar. Auf einem Karton hat er Bündel irakischer Dinar und ausländischer Währungen aufgetürmt. Auf der Straße flanieren junge Männer durch die Nacht, am Straßenrand freut man sich hinter den Kebabständen im Fastenmonat Ramadan auf sehr hungrige Kundschaft. Er wünsche sich für Kurdistan die Unabhängigkeit, sagt Sherzad.

Der Verzicht auf ein Unabhängigkeitsreferendum war für die Kurden der Preis im zähen Verhandlungspoker. Dass ihre Unterhändler diese Forderung aufgaben, kreidet ihnen auch der Kebabverkäufer Soran Tarik an. „Wir Kurden wollen einen eigenen Staat. Das ist unser gutes Recht.“ Wie Sherzad will er heute trotzdem mit Ja stimmen. Die Verfassung werde dem Terror ein Ende bereiten, sagt Soran hinter einer dicken Rauchwolke.

Nur Kassem Akram lobt an diesem Abend das Grundgesetz. „Alles ist nun gesetzlich geregelt“, sagt der Bäcker. „Es ist die Zukunft unserer Nation.“ Wie viele Kurden kennen die kleinen Geschäftsleute den genauen Wortlaut der Verfassung nicht. Erst an diesem Abend fahren Peschmerga mit Pritschenwagen durch die Stadt, um die Broschüren unters Volk zu bringen.

Während die Annahme der Verfassung in Kurdistan als sicher gilt, ist im 90 Kilometer von Erbil entfernten Kirkuk der Ausgang des Referendums ungewiss. Die Turkmenische Front, die bei den Wahlen im Januar knapp 20 Prozent der Stimmen erreichte, ruft ihre Anhänger zum Nein auf. Ihr gehen die Rechte für die turkmenische Minderheit nicht weit genug. Unzufriedenheit herrscht auch bei vielen Christen, die sich vor dem Druck islamischer Fundamentalisten fürchten, da laut Entwurf der Islam eine der Hauptquellen der Rechtssprechung wird.

Zum Zünglein an der Waage könnten in Kirkuk die arabischen Sunniten werden. Im Gegensatz zur Januar-Wahl rufen jetzt die meisten Organisationen zur Wahlbeteiligung auf, wobei etliche Gruppen die Verfassung trotz der Nachbesserungen in letzter Minute weiter ablehnen.

Von Wahlfieber wie im Januar ist vor dem Referendum aber auch in Kirkuk nichts zu spüren. In der ganzen Stadt sind Polizeipatrouillen unterwegs, auch die Amerikaner sind stärker präsent als sonst. In Kirkuk haben die Untergrundkämpfer in den letzten Monaten ihre Angriffe intensiviert, Bombenanschläge sind inzwischen an der Tagesordnung. Trotzdem rechnet der kurdische Präsident des Provinzrats, Rizgar Ali, mit hoher Wahlbeteiligung. Da das künftige Parlament gemäß einer Regelung in letzter Minute die Verfassung ändern kann, ist sie nicht mehr als eine weitere Interimslösung. Rizgar Ali macht jedoch klar, dass es kein Zurück von der Dezentralisierung geben wird.

Schon heute bietet der Provinzrat Bagdad die Stirn. Als das Verteidigungsministerium für das Referendum 40 Wächter einer privaten Sicherheitsfirma nach Kirkuk beorderte, schickte sie der Provinzrat zurück.