Wochenschnack
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Viel Vertrauen verspielt

EU-Freihandelsabkommen Die EU lenkt ein, nationale Parlamente dürfen über das Ceta-Abkommen entscheiden. Dazu gab es ein Pro und Contra in der taz

Unbeliebt bei der 60 Prozent der Bevölkerung: TTIP und Ceta Foto: dpa

Starke Argumente

betr.: „Soll der Bundestag abstimmen dürfen?“, taz vom 6. 7. 16

Es geht bei dieser Frage nicht um die Stärkung oder Schwächung der europäischen Demokratie. Das EU-Parlament kann das Abkommen ablehnen – dann ist es endgültig tot, und das EU-Parlament hätte – nicht zum ersten Mal – Stärke bewiesen.

Die strittige Frage, ob es sich bei Ceta um ein gemischtes Abkommen handelt oder nicht, zeigt vor allem, dass Ceta mehr als nur ein einfaches „Freihandels“-Abkommen ist. Es würde Investoren ermöglichen, Mitgliedstaaten der EU vor einem Handelsgerichtshof zu verklagen. Die EU-Kommission hat das Recht, EU-Mitgliedstaaten vor dem europäischen Gerichtshof zu verklagen, wenn EU-Verordnungen nicht umgesetzt werden. Dieses Recht hat sie von den Mitgliedstaaten durch Zustimmung der nationalen Parlamente erhalten.

Ceta enthält dem Vernehmen nach – zurzeit existiert ja nur die Fassung in Juristenenglisch – länderspezifische Listen zur „Liberalisierung/Privatisierung“ bisher hoheitlicher Aufgaben. Die regulatorische Kooperation ermöglicht es darüber hinaus der Konzernlobby, „offiziell“ Gesetzentwürfe zu beeinflussen oder zu verhindern, bevor nationale Parlamente sie überhaupt vorgelegt bekommen.

Dies sind starke Argumente, dass Ceta weit mehr als ein einfaches „Freihandels“-Abkommen ist und Rechte berührt, die die Mitglied­staaten der EU bislang nicht zugestanden haben – ein deutliches Indiz für ein „gemischtes“ Abkommen – und gute Argumente, es überhaupt abzu­lehnen. Das kann und wird hoffent­lich das EU-Parlament bereits er­ledi­gen.

MATTHIAS BREUER, Köln

Demokratiedefizite

betr.: Soll der Bundestag abstimmen dürfen?“, taz vom 6. 7. 16

Ganz offensichtlich hat Klaus Hillenbrand noch nie etwas vom Subsidiaritätsprinzip gehört und davon, dass unserem EU-Parlament in der exekutiv­lastigen EU mit ihrer mangelnden Gewaltenteilung die Kernkompetenz eines richtigen Parlaments zur Ergreifung von Gesetzesinitiativen fehlt. Es hat nur beschränkte Kontrollfunktionen, und auch die wenigsten EU-Abgeordneten durften lange Zeit die ge­heimen Ceta- und TTIP-Verhandlungsdokumente einsehen.

Vor allem aber: Die EU-Abgeordneten kennen keine Direktwahl und haben keine Wahlkreise, deshalb mangelt es an bürgernahen, öffentlichen Diskursen vor Parlaments­entscheidungen. Außerdem fehlt die Gleichheit der Stimmen wegen der völlig ungleichen Gewichtung der Wählerstimmen in den einzelnen Ländern.

Auch hat Klaus Hillenbrand wohl nicht mitbekommen, dass mit Ceta und TTIP der Primat der Politik durch den Primat der Wirtschaft final abgelöst werden soll und deshalb Dutzende Verfassungs- und Völkerrechtler sowie ein ehemaliger Verfassungsrichter auf die Unvereinbarkeit mit unserem Grundgesetz hingewiesen haben. Deshalb kann das EU-Parlament, in dem übrigens weitaus mehr Lobbyisten ein- und ausgehen als in unserem Bundestag, bei Ceta und Co. nicht unsere einzige zuständige Ebene der Volksvertretung sein – denn sie würde unsere mühsam und demokratisch errungenen Gesetzesregelungen obsolet machen – von wegen mehr Demokratie durch das bürgerferne EU-„Parlament“.

All diese Demokratiedefizite bei der EU sind Klaus Hillenbrand entgangen?

Dann lieber direkte Volksabstimmungen über Ceta und TTIP, die laut Umfragen von über 60 Prozent der Bevölkerung abgelehnt werden. Diesen Mehrheitswillen haben unsere Parlamente zu vollziehen.

WILHELM NEUROHR, Haltern am See

Reingefallen!

betr.: „Bei Ceta knickt EU-Chef ­Juncker ein“, taz vom 6. 7. 16

Reingefallen!

Der alte Fuchs Juncker will uns verkaufen, dass die Demokratie gewonnen hat. Wenn die Kommission die „vorläufige Anwendung“ im EU-Rat durchsetzt, wird nach Ceta verfahren, und alle abgeschlossenen Verträge behalten ihre Gültigkeit, egal was die nationalen Parlamente entscheiden.

So läuft Demokratie: Die Parlamente können beraten, und die Kommission mit dem EU-Rat beschließen inzwischen, was die Wirtschafts- und Finanzverbände mit ihren Anwaltskanzleien ihnen raten.

Mal sehen, ob Gabriel im EU-Wirt­schaftsrat für oder gegen die „vor­läufige Anwendung“ stimmt.

MARIANA MUNK, Hamburg

Wenig Demokratie

betr.: „Soll der Bundestag abstimmen dürfen?“, taz vom 6. 7. 16

In einem muss ich Klaus Hillenbrand vehement widersprechen: Für die Demokratie bedeutet die Einschaltung nationaler Parlamente nur Gutes! Gibt es Demokratie im EU-Parlament schon? Mir kommt es so vor, als hätte die EU das wenige an Demokratie auch noch an nicht demokratisch legitimierte Einrichtungen wie die Troika abgegeben, ein Zusammenschluss aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission mit starkem Übergewicht der Banken.

Berücksichtigt das Ja Lukas Wallraffs schon zu wenig die Probleme in der EU, so scheint das Nein Klaus Hillenbrands die zunehmende Ungleichheit der europäischen Völker, die Angst vor Demokratieverlust zugunsten der Macht der Banken und die Bürokratisierung (Entmenschlichung) Europas völlig auszublenden.

NORBERT VOSS, Berlin

Offene Fragen

betr.: „Misstrauen mit Folgen“,taz.de vom 6. 7. 16

Das Entscheidende haben beide Kommentare nicht erwähnt: die Frage nämlich, wie Ceta und TTIP zu klassifizieren sind: als reine Handelsabkommen, die laut EU-Verträgen durch Rat und Europaparlament verabschiedet werden, oder als „gemischte“ Abkommen, die zahlreiche andere Politikbereiche so wesentlich berühren, dass die Zustimmung der nationalen Parlamente vonnöten ist. Für diese Art von Fragen muss es doch einen Rechtsweg geben (Normenkontrollklage zum Beispiel).

MY SHARONA, taz.de

Vertrauen verspielt

betr.: „Misstrauen mit Folgen“,taz.de vom 6. 7. 16

Ich hoffe, dass die Europaparlamentarier endlich begreifen, wie viel Vertrauen durch falsches, fast ausschließlich wirtschaftsfreundliches Verhalten sie bei den Menschen in Europa verspielt haben.

MARKUS MÜLLER, taz.de

Geringe Akzeptanz

betr.: „Misstrauen mit Folgen“, taz.de vom 6. 7. 16

Es ist doch genau die zentralistische Entscheidungsmacht der EU, die Wasser auf die Mühlen rechtspopulistischer Gegner gießt. Entscheidungen, die von einem Parlament getroffen werden, das nicht die Akzeptanz der Mehrheit der EU-Bevölkerung genießt und der völlig undurchsichtige Verhandlungen vorausgingen. Also wenn das jetzt die EU-Demokratie sein soll, dann werde ich mich auch irgendwann den Rechten anschließen.

LIEBESONNESCHEINE, taz.de