Kultur als Denkanstoß

Saubere Sache Zum sechsten Mal verwandelt die „Millerntor Gallery“ das Fußballstadion drei Tage lang in eine Galerie für Kunst, die für soziales Engagement begeistern soll

Zeichnen für eine bessere Welt: Die Millerntor Gallery zeigt Kunst auf 8.000 Quadratmetern Foto: Stefan Groenveld

von Katrin Ullmann

Ausgerechnet die Toiletten. Nicht gerade ein Wunschort, um die eigene Kunst zu präsentieren. „Abwertend finde ich es nicht, vor allem weil die Thematik des Events doch mit Wasser und Sanitäreinrichtungen zu tun hat“, hebelt der Illustrator Sasan Saidi jede negative Assoziation aus und fügt hinzu: „Da habe ich doch einen der wichtigsten Plätze bekommen.“ Sasan – halb Iraner, halb Deutscher – ist einer der Teilnehmer der „Millerntor Gallery“, die vom 14. bis 17. Juli im Millerntorstadion stattfindet. Dort wird er die Toilettenräume gestalten.

Das „internationale Kunst-, Musik- und Kulturfestival für kreatives Engagement“, wie es sich selbst nennt, wurde 2011 von der Trinkwasserinitiative Viva con Agua ins Leben gerufen. Gastgeber ist der FC St. Pauli. Unterstützt von unzähligen Ehrenamtlichen wollen die Veranstalter dabei vier Tage lang nichts Geringeres verhandeln als die Frage, „wie die Welt positiv gestaltet werden kann“.

Dieses Jahr sind mehr als 150 Künstler beteiligt, aus unterschiedlichsten Ländern und aus so unterschiedlichen Genres wie Urban Art, Malerei, Fotografie, Skulptur und Illustration, Sounddesign. Die Gewinne aus den Verkäufen gehen zu 30 Prozent an die KünstlerInnen und zu 70 Prozent an Viva con Agua. Mit den Einnahmen will der Verein die weltweite Wasser- und Sanitärversorgung weiter verbessern und spendet sie für Projekte der Welthungerhilfe.

Neben der Kunst werden Workshops angeboten, vom politisch korrekten Kochen über Yoga bis hin zu Mitmach-Aktionen mit dem verklärten Titel „Marmoriere Deine Welt bunt“. Impro-Performances, Tattoo- und Siebdruck sowie eine Kinderkulturkarawane sind genauso Teil des Programms wie eine „Street Art Tour“ durch St. Pauli, Kurse zum kreativen ­Schreiben und ein Workshop zur Herstellung von nachhaltiger Mode.

Es klingt ganz so, als wäre dieses Wochenende die beste Gelegenheit, verloren gegangene Karmapunkte zu sammeln – so als wären im Millerntorstadion vier Tage lang nur Menschen mit guten Gedanken für die ganze Welt vereint. Und wenn sich all diese zwischen Ausstellungsführung und Yogakurs auch über ihren persönlichen Wasserverbrauch Gedanken machten, wäre vielleicht schon ein Zwischenziel erreicht.

2012 verbrauchte laut Statistischem Bundesamt jeder Deutsche 121 Liter Trinkwasser am Tag. Dabei ist das virtuelle Wasser, das in der Produktion verwendet und damit indirekt durch Konsum verbraucht wird, noch nicht mit eingerechnet. Und doch liegt Deutschland damit im europäischen Mittelfeld. Zum Vergleich: In Afrika müssen viele Menschen mit 20 Liter Wasser pro Tag auskommen. Das entspricht in etwa der Menge, die wir beim Duschen in eineinhalb Minuten durchrauschen lassen.

„Es ist irgendwie ein Zufall“, erzählt der in Berlin lebende Sasan, „aber ich bin in Ostafrika aufgewachsen, da mein Vater als Entwicklungshelfer das Food-Security-Programm geleitet hat.“ Dort habe er aus erster Hand erfahren, wie die Menschen und vor allem Kinder in sehr schlimmen Verhältnissen lebten. „So etwas gerät in den Wohlstandsländern oft in Vergessenheit“, sagt er. „Wir können jederzeit den Wasserhahn aufdrehen, wenn wir durstig sind, oder eine saubere Toilette benutzen.“ Entsprechend wichtig ist es für Sasan, seine Kreativität auch zu nutzen, „um auf die Ungerechtigkeit hinzuweisen oder auch Organisationen zu unterstützen, die anderen Menschen, denen es weniger gut geht, helfen“.

Zweifellos ist Viva con Agua eine solche Organisation. Aber kann man mit Kunst tatsächlich soziales Engagement entfachen? „Es sind Denkanstöße“, räumt Sasan ein. Die Welt besser und gerechter machen, das vermöge die Kunst allein nicht. Schließlich sei sie nur eines von vielen Tools, die genutzt werden können, um Aufmerksamkeit zu erregen oder eine Botschaft zu transportieren. „Irgendwo muss man ja anfangen“, meint Sasan, „am besten bei sich selbst.“ Wer das noch nicht schafft, besucht vielleicht erst einmal die „Millerntor Gallery“.

Fr, 14. Juli, bis So, 17. Juli, Millerntor-Stadion, Do 18–24 Uhr, Fr 16–24 Uhr, Sa 12–24 Uhr und So 12–20 Uhr