Vergehen erfinden, bis es passt

WILLKÜR Zwei Bremer Polizisten wollen einen Lieferanten fast zeitgleich bei zwei Ordnungwidrigkeiten an unterschiedlichen Orten erwischt haben – nun ermittelt die eigene Behörde gegen die Beamten

„‚Scheißegal‘ war jedes dritte Wort, das von ihm kam“

RALF W., Zeitungszusteller

Ralf W. ist sich sicher: Die beiden Bremer Polizisten wollen ihm eins auswischen. Sie hatten ihn im Sommer wegen eines Verkehrsdelikts zu unrecht verwarnt und lassen ihm seither keine Ruhe. Vielleicht hat der Spuk aber bald ein Ende, denn heute sagt W. als Zeuge in einem internen Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten aus.

W. fährt regelmäßig nachts mit dem Auto in die Bremer Fußgängerzone. Er darf das, denn er liefert Zeitungen aus. „Ich habe dabei oft Kontakt zu Polizisten und alle sind nett“, sagt er. Bis auf die beiden, denen er am 23. August an der Obernstraße begegnete. „Scheißegal“ sei ihm das, sagte einer von ihnen, als W. erklärte, dass er als Lieferant berechtigt sei, dort zu fahren. „Egal, was ich gesagt habe: ‚Scheißegal‘ war jedes dritte Wort, das von ihm kam, und sein Kollege saß im Wagen und guckte sich das nur an“, erzählt W. Einige Tage später bekam er Post: 20 Euro Verwarnungsgeld sollte er an die Bußgeldstelle zahlen. Das tat er nicht, legte Widerspruch ein – und bekam im Oktober erneut einen Brief.

Diesmal soll er am gleichen Tag, allerdings vier Minuten nach dem Vorfall an der Obernstraße, unangeschnallt an der Dechanatstraße gesehen worden sein – und zwar von genau denselben Polizisten. „Abgesehen davon, dass meine Route gar nicht dorthin führt, hätte ich nie in der kurzen Zeit da sein können“, sagt W. – und legte wieder Einspruch ein. Kurz zuvor war der erste Vorwurf gegen ihn fallengelassen worden. „Das legt die Vermutung nahe“, sagt er, „dass mir die Polizisten nach meinem erfolgreichen Widerspruch einen reinwürgen wollten.“ Ein weiteres Indiz sei es, dass der neue Bescheid erst sechs Wochen nach dem ersten Schreiben losgeschickt wurde.

Stadtamtsleiterin Marita Wessel-Niepel erklärt das mit technischen Problemen, weiß aber nicht, warum Ralf W. vor drei Wochen schon wieder Post bekam: Nun soll er auch noch 20 Euro Gebühren sowie Verwaltungsauslagen zahlen und der Ort des Geschehens ist wunderlich – plötzlich nicht mehr die Dechanatstraße, sondern „Balgebrückstraße, Höhe Dechanatstraße/ Wachtstraße“.

Wahrscheinlich, sagt Wessel-Niepel, habe W. keinen „richtigen Einspruch“ verschickt. Mehr könne sie dazu erst nach „ausführlicher Rücksprache“ mit den SachbearbeiterInnen sagen. Den Ortswechsel kann sie indes erklären: „Nach einer ausführlichen Stellungnahme der Polizisten ist die Ortsangabe nun lediglich ein bisschen detaillierter.“ W. wundert sich: „Das macht nun gar keinen Sinn mehr: Um da hin zu kommen, hätte ich durch ein Bushäuschen in die verkehrte Richtung fahren müssen.“

Aber darum geht es ihm auch gar nicht: „Wenn ich mich auf diese Diskussion einlassen wollte, wäre die Sache längst erledigt“, sagt er. „Ich bin während meiner Auslieferungs-Tour nämlich gar nicht verpflichtet, mich anzuschnallen.“ Ihm gehe es ums Prinzip: „Es kann ja nicht sein, dass Polizisten einfach irgendetwas erfinden dürfen.“

Zu der internen Ermittlung gegen die Polizisten, so ein Polizei-Sprecher, sei es gekommen, weil W. vor einem Monat an die Öffentlichkeit gegangen war: „Nach einem Bericht im Weser-Report haben mehrere Menschen in Leserbriefen von ähnlichen Erfahrungen berichtet.“ Das habe die Polizei dazu bewogen, der Sache nachzugehen. SCHN