: Musiker mit mindestens vier Füßen
Konzert Plausible Erweiterungen von Pop: schöner schwitzen mit den Skeletons am Dienstagabend im West Germany
Sommers ist der Konzertbesuch an diesem Ort schon auch eine Mutprobe. Im West Germany. Diesem ausgekachelten und nahezu fensterlosen Loch über dem Kottbusser Tor, in dem sich der Sommer zu einer brüllenden Hitze ballt, die man erst mal aushalten können muss, ohne von ihr niedergerungen zu werden.
Also tat man, was man tun musste an diesem Dienstag. Das Publikum schwitzte Sturzbäche, und das taten auch die Musiker, die sich dabei ja noch irgendwie zurechtfinden mussten an ihren schweißnassen Instrumenten.
So war es vielleicht den Umständen geschuldet, dass beim Konzert der Skeletons manches schroffer klang als eigentlich gemeint. Zumindest im Vergleich zum aktuellen Album der von Matthew Mehlan angeführten US-Band, „Am I Home?“, das immerhin so austariert und auch poliert daherkommt wie eine Platte von The Sea and Cake.
Prinzipiell sind die Skeletons eine Band des musikalischen Überschusses (und damit den Fans von Deerhoof und Animal Collective zu empfehlen), wobei sie auf dem neuen Album durchaus manche Begradigung vorgenommen hat. Auf harsche Brüche und plötzliche Richtungswechsel wird verzichtet. Nur zwischendurch finden sich auch auf „Am I Home?“ ein paar Störmanöver, die gar nicht verstören sollen – sondern den Horizont weiten, sodass man halt selbst Free Jazz als eine plausible Erweiterung von Pop hören kann, wenn man nicht gerade ganz verstockte Ohren hat.
Für die akzentuierende Dreingabe von Jazz sorgen auf den Alben der Band Bläser. Die auf der Bühne im West Germany fehlten. Und damit fehlte auch der Jazz an dem Abend. An dessen Stelle standen dann eben psychedelische Freak-out-Partien an Gitarre und Keyboards bei der leichtfüßigen Variante von Progrock, die die Band pflegt.
Wobei das Tänzeln bei den Skeletons verblüffenderweise vielfüßiger zu funktionieren scheint, als hätte jeder der Musiker mindestens vier Füße zu seiner Verfügung.
Wer Progrock als etwas altbackenen Begriff weniger schätzt, darf auch vornehmer Artrock dazu sagen, der bei den Skeletons ohne verkünstelte Selbstverliebtheit und Virtuosentum auskommt.
Weil die Band schon der Meinung ist, dass es immer zuerst eine musikalische Lösung geben muss. Die mal zickiger Noiserock sein konnte oder eine lange krautige Ausfahrt, man hörte improvisatorisches Klanggequengel und verqueren Funk. Geschickt wurde sacht anklingender Schwulst mit Dissonanzen gegengeschnitten, die Entladungen kamen raffiniert gesetzt.
Natürlich, eine Schlaumeiermusik. Weil die Skeletons eben wissen, dass man von A nach B auch umwegig über C kommen kann, wenn das die interessantere Streckenführung ist. Verzettelt aber haben sie sich auf ihren Wegen nie. Weil sich die Skeletons letztlich doch als Popband – an dem Abend bezeugt mit einem Bill-Withers-Song – verstehen. Und Pop duldet bei allem Abschweifen keine Ausflüchte, Pop will pointierte Griffigkeit.
Es war schon ein schönes Schwitzen an diesem Dienstag im West Germany.
Thomas Mauch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen