„Es ist ein Kampf um Begriffe“

Populismus Demagogen missbrauchen Sprache und Zahlen zur Manipulation und Desinformation. Die Linguistin Ruth Wodak über Worte, Macht und Deutungshoheit

Ruth Wodak

66 Jahre alt, Linguistik-Professorin, lehrt in Lancaster und Wien. Sie zählt zu den Vertreter*innen der Critical Discourse Analysis

taz: Frau Wodak, ist der Brexit für Sie ein Beleg für den Sieg einer Politik der Lügen?

Ruth Wodak: Die Politik der Lügen beherrschte die Wahlkampagnen auf beiden Seiten. Sowohl die IN- als auch OUT-Parteien haben mit Katastrophenszenarien, u.a. einem möglichen nächsten Krieg gearbeitet. Die Brexit-Seite hat falsche Zahlen verbreitet. Viele Menschen in Großbritannien hatten kaum Informationen über die Bedeutung der EU. Ein wichtiger Faktor war sicherlich diese Desinformation.

Warum gebraucht die Politik Angst und Lügen?

Die Rhetorik der Lüge ist nicht neu. Angst wird seit jeher genutzt, um Emotionen zu erzeugen. Die Angst vor der Zukunft und neuen Gegebenheiten. Aktuell häufen sich jedoch Warnungen, die sich nicht nur auf reale Bedrohungen wie z.B. den Klimawandel beziehen, sondern überzogene Szenarien aufbauen. Was dahinter steckt ist eine Verherrlichung des Status quo bzw. des status quo ante, der nostalgische Traum einer homogenen „Nation“.

Ist dies auch eine Gefahr für die Demokratie?

In der Rhetorik des Rechtspopulismus gibt es keine sachlichen Debatten. Das einzige was man tun kann, ist die falschen Aussagen entlarvend auf eine Metaebene setzen. Ansonsten entstehen sinnlose Diskussionen. Ein Beispiel ist eine offensichtlich antisemitische Karikatur, die FPÖ-Obmann Strache auf Facebook vor einigen Jahren geteilt hat. Die Diskussion, ob es sich nun um eine antisemitische Karikatur handelt oder nicht, kann man nicht gewinnen.

Trump plädierte wegen des Attentats von Orlando für ein Einreiseverbot von Muslimen. Ist es bereits eine Lüge, wenn Zusammenhänge konstruiert werden?

Das ist keine Lüge, das ist Verhetzung und Manipulation. Das geht noch weiter als eine Lüge. Hier wird eine Gruppe negativ konstruiert. Eine Diskriminierung ersetzt die Wahrheit.

Welche Rolle spielt Sprache, um Stimmungen zu erzeugen?

Sie wird angepasst, um an Werte und Ansichten zu appellieren. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass viele populistische Parteien versuchen, die Sprache ihrer Wähler*innen zu benutzen. Ich erinnere mich an einen Taxifahrer in England, der immer Labour gewählt hatte. Doch nun wollte er UKIP wählen. Seine Begründung: „Farage flucht öffentlich, trinkt Bier, raucht, und ist keiner aus dem Establishment, der von oben auf uns herab redet. Er versteht mich!“

Inwiefern wird Sprache bewusst missbraucht?

Heute kolonisieren die Rechtspopulisten auch Sprache aus dem linken Spektrum und geben den Begriffen eine neue Bedeutung. Bei der Wiener Wahl im Oktober 2015 warb die FPÖ für eine „Oktoberrevolution“, und die Identitären riefen zur Menschenkette gegen Flüchtlinge an der Grenze auf. Wenn die FPÖ von Heimat spricht, dann gebraucht sie den Begriff streng exklusiv, oft sogar im Sinn einer völkischen „Blut und Boden“-Einstellung. Wenn hingegen der grüne Präsidentschaftskandidat Van der Bellen auf seinen Plakaten das Wort „Heimat“ benutzt, dann in einem inklusiven Sinn. Es gibt einen Kampf um Begriffe InterviewHannes Kohlhoff und Luca Spinelli