MORGENS BEIM BÄCKER
: Nicht hängen lassen

Bei „den Deutschen“ hätte es auch geklappt

Der Kaffee dampft und die Morgenlektüre würde dasselbe tun, wenn Blödheit dampfen könnte. Alle dem eigenen, leicht beeinflussbaren Geist zumutbaren Zeitschriften haben bereits ihren Weg zu anderen Tischen gefunden, und ich verfluche meinen Bäcker, weiß er doch genau, wie sensibel ich bin. So etwas kann einem leicht den Tag ruinieren. Schon allein die Größe der Zeitschrift wirkt sich störend auf mein Frühstück aus, dabei könnte man das Format relativ schnell verkleinern, indem man einfach den Schriftgrad reduziert. Doch es hilft ja alles nichts, wenn ich keine Zeitung hab, muss ich mich nachher noch mit den Menschen um mich herum befassen, also losgelesen.

Aus Hamburg wird mir mitgeteilt: „Besetzung durch 40 Autonome verhindert!“ Hä? Wie jetzt? Auf der nächsten Seite erklärt mir ein Kolumnist, wieso es funktioniert, Bomben auf Köpfe zu werfen, um diese zu demokratisieren, und dass das bei „den Deutschen“ ja auch geklappt habe. Mir fällt kein anderes Volk ein, bei dem so etwas je funktioniert hat. Missmutig schiele ich auf die Nebentische. An einem sitzen zwei Randlosbrillenträger mit schütterem Haar und unterhalten sich auf die typische Prenzlauer Berger Art und Weise: „Ich hab das zweite Drittel deines Drehbuchs gelesen, ist wirklich gut.“ Sagt der eine, woraufhin der andere erwidert: „Jaja, das kann man alles noch ändern.“ Der Erste nickt zustimmend.

Ich erbitte mir die SZ, die er sich unter den Arm gesteckt hat, doch er schüttelt nur den Kopf. Was für ein Scheißtag. Auf der letzten Seite unter der Rubrik „die letzte Geschichte geht gut aus“ berichtet man mir von einem Mädchen, das 27 Stunden lang in einem Baum festhing, bis es entdeckt wurde. O-Ton des leitenden Feuerwehrhauptmanns nach der geglückten Rettung: „Sie hat nur überlebt, weil sie sich nicht hat hängen lassen.“ Mein Motto des Tages.

JURI STERNBURG