Berliner Szenen
: Sanfte Medizin

Augen wie Autos

Das vordergründige Ziel der Medizin ist oft die Verbesserung

Seit Februar befinde ich mich in augenärztlicher Behandlung in Kreuzberg. Wenn man die Leistungsfähigkeit meiner Augen betrachtet, sind diese so alt wie viele Patienten im Warteraum: etwa um die 80. Als ich auf meinen zweiten Termin im OP warte, erinnere ich mich daran, was der Arzt beim letzten Mal zu mir sagte: dass seine Oma das auch hatte, die sei aber schon 87 gewesen. In meinem Fall, und in meinem Alter wäre es sehr traurig. Die Medizinerfraktion denkt oft, es habe eine beruhigende Wirkung, auf den wehrlosen Patienten einzureden. Ich meine: Bei mangelnder Narkosemöglichkeit ist Schweigen Gold!

Ich werde aufgerufen. Diesmal bleibe ich von Kommentaren weitgehend verschont, abgesehen von der Bemerkung, dass die Desinfektion im Auge richtig schön brennen müsse, weil schon ein winziges Bakterium die gesamte Sehfähigkeit auslöschen kann. Wie beruhigend. Zum Schluss bekomme ich noch eine Augenklappe verpasst.

Als ich die Tür zum Warteraum öffne, verabschiedet mich der Arzt mit folgenden Worten: „Das vordergründige Ziel der Medizin ist oftmals die Verbesserung und nicht die Heilung. Ich habe ja auch schon Autos in die Werkstatt gefahren und es hat nichts mehr gebracht.“ Ich frage mich, ob er das wirklich gesagt hat. Ich gucke in die Gesichter der Opfer im Wartezimmer. Ja, hat er. Alle freuen sich sicherlich schon wahnsinnig auf ihre Behandlung. Ich fordere ein ärztliches Redeverbot, wenn keine Fakten vorgetragen werden! Egal, es ist vorbei und ich will nur noch hier raus.

Ich wünsche mir, dass es zur Augenklappe immer eine Flasche Rum dazugäbe. Nein, ich schaffe es auch so! Früher hat Papa seine Autos auch so lange gefahren, bis aus ihnen ein Schrotthaufen wurde. Und zwar noch, Jahre nachdem sie ihm in der Werkstatt mitteilten, dass da überhaupt gar nichts mehr geht. Claudia Tothfalussy