Demos zum Al-Quds-Tag: Jede Menge Rundumschläge
Zum 20. Mal wird an diesem Samstag der Al-Quds-Tag in Berlin begangen. Die Inhalte verschwinden hinter dem Ritual.
Was haben die Ostermärsche, der 1. Mai in Berlin und die Proteste zum Al-Quds-Tag gemeinsam? Richtig: die Gefahr, an der eigenen Ritualisierung zu ersticken. Inhalte verschwinden, eine Aktualisierung findet nicht mehr statt, stattdessen wird jedes Jahr die gleiche Platte abgespult, höchstens aus einer Innensicht ist es noch möglich, die verschiedenen Jahre auseinanderzuhalten.
Die Demonstrationen zum antizionistischen Al-Quds-Tag, ausgerufen 1979 vom iranischen Ajatollah Chomeini als Tag der „internationalen muslimischen Solidarität“ mit den PalästinenserInnen, sind nicht mehr zu retten. Das lässt sich leicht an einigen Indizien festmachen.
Eins ist klar: Die Zeiten, in denen 2.500 Menschen an der jährlichen Demonstration teilnehmen, sind längst Geschichte – das war nur um die Jahrtausendwende so. Die Veranstalter, die Al-Quds-AG, werden wegen ihrer mutmaßlichen Nähe zur libanesischen Miliz Hisbollah immer noch vom Verfassungsschutz beobachtet.
Aber nur noch selten – nämlich immer dann, wenn sich der Nahostkonflikt militärisch zuspitzt – folgen mehr als 1.000 Menschen dem Aufruf der Veranstalter. Im letzten Jahr waren es statt der angemeldeten 2.500 rund 600 Personen, in diesem Jahr wird die Teilnehmerzahl voraussichtlich ebenfalls unter der schon reduzierten Erwartung von 1.500 Menschen liegen. Nur: Statt in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, wird die Aufmerksamkeit für diesen Tag mit den Jahren eher größer als kleiner – inklusive der im Vorfeld angestellten Spekulationen, wie viele TeilnehmerInnen es wohl dieses Mal werden.
Bizarre Bündnisse
Bei der antizionistischen Al-Quds-Demonstration laufen ultraorthodoxe Juden mit, weil es nach ihrer Überzeugung keinen Staat Israel bis zur Ankunft des Messias geben darf. Gegenveranstaltungen gibt es gleich zwei: eine große, die von rechten israelischen Gruppen und der Jungen Union, aber auch dem Schwulen- und Lesbenverband oder dem Sozialistischen Jugendverband Die Falken unterstützt wird. Auf dieser wird der Innensenator Frank Henkel (CDU) ebenso sprechen wie die Linkspartei-Politikerin Petra Pau. Dann gibt es noch eine kleine Gegenveranstaltung, die von linksradikalen antideutschen Gruppen veranstaltet wird.
Der Tag: „Der Al-Quds-Tag wurde 1979 vom iranischen Revolutionsführer Chomeini als Tag der „internationalen muslimischen Solidarität“ mit den Palästinensern ausgerufen und wird seitdem jährlich am letzten Freitag oder Samstag des Ramadan mit antiisraelischen Veranstaltungen begangen, an denen sich vor allem schiitische Muslime beteiligen. Al-Quds ist der arabische Name für die Stadt Jerusalem.
Demo: Samstag, 2. Juli 2016, 14.00 Uhr, Demonstration zum Al-Quds-Tag, Adenauerplatz.
Gegendemo 1: 12.30 Uhr, Demo „Bündnis gegen den Quds- Marsch, Kurfürstendamm/Ecke Joachimsthaler Straße
Gegendemo 2: 13.00, Demonstration „Solidarität mit Israel“, Joachimsthaler Platz (dpa)
Den Al-Quds-DemonstrantInnen gelang es in den letzten Jahren immer wieder nur sehr dürftig, ihre antizionistische Israel-Kritik von antisemitischen Motiven abzugrenzen. Der Zentralrat der Juden nannte die Demonstration in dieser Woche eine „Schande“, die US-amerikanische Organisation American Jewish Committee, die auch in Berlin einen Sitz hat, sprach von einem „Islamistenaufmarsch“.
Zusätzlich überschattet wird der Tag in diesem Jahr von einer Auseinandersetzung im März: Im Vorfeld des „Karnevals der Geflüchteten“ hatte das American Jewish Committee veröffentlicht, dass die beiden MitinitiatorInnen Nadia und Maryam Grassmann vom Moabiter Theaterprojekt Refugee Club Impulse nicht nur die Töchter des Al-Quds-Veranstalters Jürgen Grassmann sind, sondern auf der Demonstration auch selbst schon Aufgaben übernommen haben sollten.
Die öffentliche Reaktion war kurz, aber heftig, dem Projekt aus Moabit wurden Fördergelder in Höhe von 100.000 Euro gestrichen. Während die Beteiligung der Grassmann-Schwestern an der Demonstration unstrittig ist, ist sowohl ihre genaue Rolle dort als auch die Frage, inwiefern sich das auf ihre Arbeit im dem Theaterprojekt auswirkt, weiter ungeklärt.
Erfrischende Position
Politisch ist am Al-Quds-Tag nicht mehr viel zu holen. Erfrischend wirkt da die Position der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“: Sie holt zum Rundumschlag aus und übt an jeder der drei Veranstaltungen an diesem Tag Kritik.
An der eigentlichen Demonstration kritisiert die Gruppe vor allem deren Nähe zum iranischen Regime, das linke AktivistInnen, Frauen, Homosexuelle sowie religiöse und ethnische Minderheiten unterdrücke. Doch auch die InitiatorInnen der Gegendemonstration würden die aktuelle israelische Regierung „unkritisch unterstützen“ und „militärische Aggressionen und die israelische Besatzungspolitik“ befürworten. Das zeige sich auch in der Person Izi Azharons, eines Neonazi-Aussteigers, der in jüngster Zeit als Unterstützer der ultranationalistischen israelischen Gruppe Im Tirtzu aufgetreten ist.
Die antideutsche Gegenkundgebung kommt ebenfalls nicht gut weg: Dass diese in ihrem Aufruf auch die BDS-Bewegung anprangern, die sich für einen Boykott israelischer Produkte einsetzt, obwohl diese mit dem Al-Quds-Tag nichts zu tun haben, sei ein „unerträglicher Affront gegen jüdische und palästinensische Friedensaktivist_innen weltweit“.
„In unseren Augen sind alle drei Veranstaltungen, also Demonstration, Gegendemo und Gegenkundgebung ungeeignet, um emanzipatorischen, antirassistischen oder Anti-Kriegs-Positionen Gehör zu verschaffen“, sagt der Jüdische-Stimme-Aktivist Yossi Bartal.
Wer dieser Haltung folgt, kann sich an diesem Samstag also getrost einem anderen Sommerritual widmen – und am See oder im Freibad, jedenfalls fernab vom Ku’damm, die Beine hochlegen.
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