Wochenschnack
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Nach dem Brexit-Referendum

„Natürlich bleibt die Angst, dass auf Kosten der Flüchtlinge versucht wird, das Volk wieder auf Kurs zu bringen. Aber ­optimistisch gesehen, könnte man auch eine Rückbesinnung auf moralische Werte zur Stabilisierung der EU erwarten“

CHAOSARAH ZU „THEY’LL LEAVE“, TAZ.DE VOM 24. 6. 16

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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.

Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Deutsche Erinnerungsschatten

kriegsgedenken Am 22 Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Was taz-LeserInnen über diesen Jahrestag denken

75 Jahre nach dem Überfall deutscher Truppen: Moskau, 22 Juni 2016 Foto: dpa

Nachholbedarf

betr.: „Der vergessene 22. Juni“, taz vom 22. 6. 16

Die Idee, Dokumente der Vernichtung „Unternehmen Barbarossa“ abzudrucken , ist mehr als Nachholbedarf. Zwei habe ich davon gelesen. Heute „Komm Mama, gehen wir nach Hause“. Mein Vater war 1943 in Wilejka als Nebenstellenleiter für die „Erzeugungsschlacht“. Ich wurde 1941 in Hamburg geboren. Was er gewusst hat, diese Frage blieb in meiner Familie unbeantwortet. Und nun kann ich die ganze taz-Seite aufheben, denn auf der Rückseite ist ein Aufsatz von Aram Lintzel „Produktivkraft Hass“. Ein Essay zum Aufheben. Daneben wird die junge Theaterautorin Henriette Dushe vorgestellt, die schreibt, wenn sie eine thematische „Dringlichkeit“ empfindet.

UTE REMUS, Brühl, Rheinland

Mehr Respekt

betr.: „Der vergessene 22. Juni“, taz vom 22. 6. 16

Oft ist Bundespräsident Gauck ein Mann der mahnenden Worte, aber an so einem traurigen Tag tourt er durch Südosteuropa! Gerade wo das Verhältnis zwischen der EU, der Nato und Russland einem Scherbenhaufen gleicht, hätte man von unseren Spitzenpolitikern mehr Fingerspitzengefühl erwartet! Und was passiert? Nichts, außer dass die Sanktionen gegen Russland verlängert werden, Nato-Truppen an der Grenze zu Russland aufgestockt werden und Manöver in der Nähe zu Russland durchgeführt werden; dass ist wahrlich der falsche Weg! Es wäre ein Signal, wenn unsere Spitzen­politiker diesem Datum mehr Respekt entgegenbringen würden!

RENÉ OSSELMANN,Magdeburg

Eine Revolte?

betr.: „Erobern, zerstören, aus­löschen“, taz vom 22. 6. 16

Vielleicht war die für mich unverständliche Begeisterung für Stalin in der K-Gruppen-Bewegung der 70er Jahre auch eine Revolte gegen das antibolschewistische Feindbild der Elterngeneration im Kalten Krieg. Bei China verhielt es sich ähnlich: Ich habe immer noch das Wort von der „gelben Gefahr“ im Ohr.

Name ist der Redaktion bekannt

Fazit: taz

betr.: „Der vergessene 22. Juni“, taz vom 22. 6. 16

Ich glaube, auch im Jahr 2016 ist den wenigsten in diesem Land das unvorstellbare Ausmaß der Verbrechen deutscher Soldaten (und Polizisten) in der damaligen UdSSR bewusst: 27 Millionen Tote, davon 14 Millionen Zivilisten und 3 Millionen Kriegsgefangene. Wer den deutschen „Erinnerungsschatten“ (Gauck) live und in Farbe erleben will, muss sich nur mal am 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjet­union andere Tageszeitungen ansehen. Auf die Titelseite hat es das Thema außer bei der taz nirgends geschafft, die FAZ behandelt es immerhin auf Seite 8 (sowie im Feuilleton), und in der SZ habe ich kein Sterbenswörtchen gefunden. Fazit: taz. MICHAEL SCHÖFFSKI, Köln

Viel Schuld

betr.: „Der vergessene 22. Juni“, taz vom 22. 6. 16

Bravo für diese taz vom Mittwoch. Seite 2: herrliches Interview, super Artikel. Seite 3: grandioser Artikel. Bleibt an diesem Thema dran. Unsere Vorfahren haben viel Schuld auf uns geladen. „Erobern, zerstören, auslöschen“. Die Verbrechen unserer Vorfahren dürfen nicht vergessen werden. Sie sind Mahnung. Immer. Freue mich schon auf den Artikel von Erhard Eppler.

KARL HAGEN, Horb

Beispielhaft

betr.: „Erobern, zerstören, aus­löschen“, taz vom 22. 6. 16

Mit Ihrer beispielhaft umfassenden Berichterstattung über den Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und insbesondere den Mord an mehr als 3 Millionen russischen Kriegsgefangenen haben Sie „taz muss sein“ einmal mehr bestätigt.

Unerwähnt blieb dabei nur das Schicksal der Minderheit überlebender Rotarmisten, die noch heimkehren konnten, dort aber nach Stalins Verdikt als Feiglinge oder Landesverräter gebrandmarkt wurden, weil sie sich ergeben hatten und dafür zum Teil dafür im sibirischen Gulag landeten. Der Diktator, dem ein Menschenleben nichts bedeutete und der selbst jahrzehntelang nachhaltig an der Dezimierung der sowjetischen Bevölkerung beteiligt war, hatte schon 1941 die Familie seines Sohns Jakow Dschugaschwili verhaften lassen, nachdem der von den Deutschen gefangen genommen worden war. Er wurde 1943 im KZ Sachsenhausen erschossen.

Als Korrespondent in Moskau Ende der 70er Jahre hatte ich abseits der prächtigen Aufmärsche hochdekorierter Veteranen des „Großen Vaterländischen Kriegs“ auch Kontakte zu noch immer stigmatisierten Familien einstiger Gefangener.

SIEGFRIED KOGELFRANZ, Hamburg

Manöver auslassen

betr.: „Der vergessene 22. Juni“, taz vom 22. 6. 16

In der Tat kann es nur Geschichtsvergessenheit gewesen sein, die die Nato dazu geführt hat, ausgerechnet um den 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion herum ein Manöver mit 30.000 Soldaten im östlichen Polen auf die Beine zu stellen. Die kritischen Anmerkungen von Außenminister Steinmeier dazu sind richtig, aber nicht ausreichend. In der Tat hätte es dem Nato-Mitglied Deutschland gut zu Gesicht gestanden, diese Terminüberschneidung zum Anlass zu nehmen, mal ein Manöver in den Ländern der ost-erweiterten Nato auszulassen. Traurig, dass nur die Linke öffentlich Steinmeiers Kritik teilt. Ich hätte es richtig gefunden, wenn sich auch die andere Oppositionspartei in diesem Sinne hätte vernehmen lassen. HEINZ-HERMANN INGWERSEN, Neumünster

Nicht abwägen

betr.: „Erobern, zerstören, aus­löschen“, taz.de vom 21. 6. 16

Historische Sensibilität in allen Ehren, aber zu dieser Zeit wurden beide Staaten von menschenverachtenden Dikatoren regiert, Hitler auf deutscher Seite, Stalin auf sowjetischer Seite. Beide haben nicht nur ihren eigenen Völkern, sondern auch anderen Völkern unermessliches Leid zugefügt. Eine buchhalterische Abwägung, welches Leid nun größer war, verbietet sich. Wir sollten beide – Russen wie Deutsche – daran arbeiten, dass sich solche Exzesse, die auf beiden Seiten passiert sind, nicht wiederholen. Das ist der Auftrag aus der Geschichte an unsere lebende und entscheidende Generation, nicht aber das Aufwiegen und Abwägen, wer letztlich ein Gran mehr Schuld auf sich geladen hat. BALOUBEAR67, taz.de

Es ist schrecklich

betr.: „Erbobern, zerstören, aus­löschen“, taz.de vom 21. 6. 16

Es ist schrecklich, wie sich unsere Völker vor 75 Jahren gegenseitig vernichten wollten. Neben Hitler-Deutschland hatte aber auch die Stalin’sche Sowjetunion spätestens seit ihrem Überfall auf Ostpolen ihre Unschuld längst verloren.

ALEXEI CHOMJAKOV, taz.de