Berliner Szenen: Identitätsprobleme II
Der goldene Schuss
Deutschland gegen Ukraine. Die Hausaufgaben sind blitzschnell erledigt, der Tisch absolut freiwillig gedeckt. Die Jungs sind Adrenalin pur. Anpfiff. Spannung. Idylle. Bis zum ersten Torschuss. Jaaaaaaa! – Halt, halt, das sind doch die Falschen! Oder seid ihr für die Deutschen? – Aber klaro, Mama! – Aber, ich dachte, ihr seid bei mir, mit mir. – Wieso sollten wir? – Na ja, ich, die Ukraine, unsere Omas … Ich suche nach Halt. Sie bleiben knallhart. Mama, wir sind in Deutschland geboren. Die ganze Klasse fiebert mit, die ganze Schule, verstehst du? Und überhaupt: sie sind die Besten!
So schnell geht das: Gestern waren wir noch ein Leib und eine Seele und heute sind die Liebsten meine Gegner. Die Erkenntnis schmerzt mehr als das Endergebnis. 0:2, immerhin haben meine Ukrainer gegen die „Allerbesten“ verloren.
Es kommt noch schlimmer. Das Spiel Ukraine – Nordirland. Diesmal eine niederschmetternde Niederlage für die Blau-Gelben. Die Jungs sind mucksmäuschenstill und kommentieren nicht einmal. Haben sie Mitleid mit mir? Erst war die Krim weg, jetzt driften mir auch noch die eigenen Söhne weg.
Das Spiel Polen – Ukraine gucke ich mir gar nicht erst an. Das sage ich auch schweren Herzens am Frühstückstisch. Weil ich weiß, wohin die Reise geht. Zur selben Zeit tritt Deutschland gegen Nordirland an. Ist das dein Ernst, Mama? – Aber klaro! – Juhu, dann lass uns doch das Deutschland-Spiel zusammen gucken, ja? – Natürlich! Und wisst ihr was? Ich werde auch für die Deutschen sein. – Hurraah!
Die Jungs strahlen, der Ball rollt, Idylle ist eingekehrt. „Das höchste 1:0 aller Zeiten.“ „Der goldene Gomez-Schuss.“ We are the winner! Ich auch? Laut Pass zumindest. Fühlt sich gar nicht so schlecht an. Nur eine Frage nagt an mir. Was wäre, wenn die Ukraine Europameister geworden wäre? Die behalte ich lieber für mich. Irina Serdyuk
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