Per Klick zum nächsten Gegner

HANDBALL Mit einer neuen Onlinedatenbank bereiten sich die Füchse auf ihre Matches vor – auch auf das heutige Spiel gegen Hannover

Als Joachim Löw sich vergangenen Sommer auf das EM-Spiel gegen Portugal vorbereitete, nahm er einen 600 Seiten dicken Stapel Papier und 60 Stunden Videoaufnahmen entgegen. Sportstudenten hatten das Infomaterial über den ersten deutschen Gruppengegner gesammelt. Denn das alte Beckenbauer’sche Credo „Gehts raus und spielts!“ gilt im Sport weniger denn je – dieser Leitsatz ist einer akribischen Vorbereitung gewichen.

Auch im Handball ist das so, bei den Füchsen Berlin. Wenn sich das Team der Füchse allerdings auf das heutige Heimspiel gegen den TSV Hannover-Burgdorf (19 Uhr) vorbereitet, hat es nicht mit einem 600-Seiten-Stapel zu kämpfen – die Wunderwaffe der Berliner Handballer heißt „Sideline“ und ist ein Computerprogramm. Es ist die Datenbank der Füchse, gespickt mit Videomaterial, Übungen und Statistiken. Die im Handballland Island entwickelte Plattform lässt sich für viele Sportarten nutzen – sie ist Datensatz gewordener Trainertraum.

„Darüber können die Spieler die wichtigen Infos über unser eigenes Spiel, über das des Gegners und zur Taktik einsehen, das ist sehr praktikabel“, sagt Alexander Haase. Mit der „Sideline“ kennt Haase sich aus, der 36-Jährige assistiert als Ko-Trainer der Füchse dem Chefcoach Dagur Sigurdsson. Auf das Programm haben Spieler und Trainer jederzeit Zugriff, auch übers Handy. Sobald sie online sind, aktualisieren sich die Daten. Das Programm ist designt wie ein Mailprogramm und funktioniert auch als Intranet der Füchse.

Analyse per Video

Das wichtigste Instrument ist die Videoanalyse. Haase und Sigurdsson halten ihre Spieler dazu an, sich bestimmte Szenen zur Vor- und Nachbereitung anzuschauen. Es gibt es auch eine App für das Programm. Wenn Keeper Silvio Heinevetter sich informieren will, wie hart Hannovers Rückraumspieler wirft, kann er sich die Szenen des Spielers im Café auf sein Smartphone laden. „Man muss nur aufpassen, dass man die Spieler nicht mit Infos überfrachtet“, sagt Haase. Auch für das Gesamtteam gebe es schließlich noch eine Videoanalyse bei der Mannschaftssitzung.

Haase sitzt in der Geschäftsstelle der Füchse in Mitte. An einem großen Tisch im Konferenzraum schneidet er das Champions-League-Spiel seines Teams gegen Minsk von Anfang Dezember (24:31). Er zerstückelt das Match in die einzelnen Spielzüge. Die Ausschnitte speichert er und versieht sie mit Parametern: „Abwehr“ – „6-0-Formation“ – „Spieler Börge Lund“. Für die anderen Spieler sind es nur noch ein paar Klicks zu den Szenen.

Ein paar Klicks sind es auch nur, wenn sie den Spielkalender oder PR-Termine einsehen, Übungen und taktische Formationen. Sogar eine Art Füchse-Wertekodex findet sich hier. Und, siehe da, auch ein Masterplan. „Ich kann aber auch nicht alles zeigen“, sagt Haase und lacht.

Seit vier Jahren arbeiten die Füchse mit Sideline, in dieser Zeit gelang der Masterplan. In der Champions League (CL) haben sie zum zweiten Mal in Folge die Vorrunde überstanden und stehen vorzeitig im Achtelfinale. Am 10. Februar 2013 steht in der CL noch der Kracher gegen Barcelona zu Hause an. In der Bundesliga haben die Füchse gute Chancen, die CL-Qualifikation (Rang drei) erneut zu erreichen: Nach einem 28:23-Erfolg in Gummersbach am Samstag sind sie Vierter. Das Team ist im Soll. Derzeit wünschen sich die Spieler nichts sehnlicher als die Winterpause nach Weihnachten, denn alle drei Tage ist ein Spiel. Da ist es gut, wenn man zwischendurch mal schnell den nächsten Gegner herbeiklicken kann.

JENS UTHOFF