: Stille Tage im Prekariat
LOKALKOLORIT Mit „3/4“ hat Maike Mia Höhne einen Film über die Befindlichkeiten eines modernen Großstadt-Paars gedreht. Die dritte Hauptrolle – neben Helene Grass und Stephan Szász – spielt Hamburg-Altona
von Wilfried Hippen
Sabine ist um die 40, schon lange mit Michael zusammen – und zu drei Vierteln ist sie mit diesem Leben ja auch zufrieden. Was fehlt, ist ein Kind, und nach einer kurzen, missglückten Schwangerschaft wird Sabine bewusst, dass sie es jetzt oder nie bekommen wird. Michael wiederum hat schon einen Sohn, der ihm auch reicht. Er hat sich eingerichtet in seinem Leben als Gartenarchitekt, auch wenn seine Existenz von jedem einzelnen Auftrag abhängt und damit ebenso prekär ist wie die Sabines, die als Kellnerin in einem Restaurant jobbt.
Dies ist die übersichtliche Grundkonstellation von „3/4“, dem Debütfilm von Maike Mia Höhne. Die Regisseurin hat sich ganz bewusst dafür entschieden, kein großes, packenden Drama zu inszenieren. Sie konzentriere sich lieber auf die „kleine Form“, sagt sie, die es schaffe „im besten Fall einzufangen, was das Leben ist – das Echte, den Moment“. So folgen die Regisseurin und ihr Kameramann Sebastian Bock Sabine beim alltäglichen Leben: wie sie arbeitet, mit kleinen Reibereien mit ihrem Arbeitgeber umgeht, mit ihrer besten Freundin Boxen lernt und dabei immer unzufriedener wird. Es wird viel geredet in diesem Film, Höhne sagt, sie habe versucht, auszuloten, „wie viel Gespräch die Leinwand verträgt“. Die Dialoge wirken erfreulich natürlich, so dass man manchmal vergessen mag, dass sie durchweg geschrieben wurden, nicht von den Darstellern improvisiert.
Geschichte selbst erlebt
Höhne kennt genau, wovon sie da erzählt. Der Film spielt in ihrem eigenen Milieu, Hamburg-Altona, und unter Menschen aus ihrem eigenen sozialen Umfeld, Freiberufler in künstlerischen und akademischen Berufen. Die Geschichte ist obendrein autobiografisch inspiriert, auch wenn es die Zuspitzung in ihrem privaten Leben so nicht gegeben hat. Auch die Rollen spielen zu einem großen Teil alte Bekannte und Freunde: Helene Grass als Sabine, Stephan Szász als Michael und Bela B., bekannt als Schlagzeuger der „Ärzte“, als Sporttrainer, mit dem Sabine ein kleiner romantisch-erotischer Ausrutscher passiert. Durch die Vertrautheit auf allen Ebenen gelingt es Höhne sehr ehrlich und authentisch wirkende Sequenzen zu inszenieren, durch die der Film immer interessant bleibt, auch wenn er dramaturgisch eher plätschert als mitreißt.
Höhne hat in den späten 90er-Jahren an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert Viele ihrer Kommilitonen, Henner Winckler, etwa, Ulrich Köhler und Patrick Orth, sind dann nach Berlin gegangen und haben dort so etwas wie die Hamburger Fraktion der sogenannten Berliner Schule gegründet. Ihnen fühlt sich Höhne bis heute verbunden. Sie selbst bekam in Berlin sogar einen Traumjob als Kuratorin des Kurzfilmprogramms der Berlinale. Was allerdings derart arbeits- und also zeitaufwendig ist, dass ihre eigene Karriere als Filmemacherin nur sehr langsam in die Gänge kam und kommt. Wenn sie also jetzt, mit über 40, ihren ersten Kino-Langfilm inszeniert hat, kann man dies auch als Parallele zur Lage ihrer Protagonistin sehen: Wenn nicht jetzt, dann nie!
Liebevoller Realismus
Der realistische Ansatz, der Wunsch, ein Kino des Alltags zu machen, verbindet Höhne mit den Filmen der Berliner Schule. Zum Glück fehlt ihrem Film aber deren depressiver Grundton. Mit seinem liebevollen Blick auf die Protagonisten und seiner Neugier auf das Lebens erinnert „3/4“ eher an die dänischen Dogma-Filme. Tatsächlich hat Höhne die dort aufgestellten Gebote fast komplett befolgt: Sie hat nur an Originalschauplätzen gedreht, ohne Requisiten, mit Originalton und natürlichem Licht – und ohne jeden melodramatischen Effekt.
Auf Filmmusik allerdings wollte sie nicht verzichten. Aber sie setzte sich selbst die Bedingung, nur die Arbeiten von Hamburger Musikern zu verwenden. So verstärken nun Songs von Die Vögel, Victor Marek und Tenfold Loadstar atmosphärisch allerlei Kamerafahrten, und beim Abspann singt der Engländer Rory Charles, in Hamburg ein bekannter Straßenmusiker.
Sympathischer Lokalpatriotismus durchzieht den Film, von dem Höhne als „Hommage an meine Stadt“ spricht. Die dritte Hauptrolle spielt Altona, denn bei allem Dialog ist dies hier kein Kammerspiel. Höhne ging soviel wie möglich hinaus in die Straßen und zeigt dabei, dass auch die sich im Umbruch befinden. Viele der gezeigten Gebäude zum Beispiel stehen heute nicht mehr. Hier gibt es Parallelen zu Wim Wenders: Auch dem war in seinen Filmen die Architektur wichtig – und mit „Der amerikanische Freund“ hat er ebenfalls eine Hamburg-Hommage gedreht.
Premiere feierte „3/4“ schon auf dem Hamburger Filmfest 2014. Da sich kein größerer Verleih fand, kümmerte sich die Regisseurin selbst um die Vermarktung; weil ihr stets nur wenig Zeit bleibt zwischen der Berlinale-Arbeit, war es eine schwere Geburt.
Sa, 17 Uhr; Mo, 20 Uhr (in Anwesenheit der Regisseurin), Hamburg, Abaton
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