Am Ende kommt der Matsch

FERNWEGE Leine- oder Allerradweg werden intensiv beworben. Vor Ort folgt Enttäuschung

Für RadfahrerInnen ist das niedersächsische Mobilitätskonzept, das Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies diese Woche vorgestellt hat, eine glatte Enttäuschung. Von 56 Seiten beschäftigt sich nicht eine mit dem Fahrrad – und das ist symptomatisch: Zwar hat Niedersachsen mit über 7.000 Kilometern das längste Radwegnetz aller Bundesländer, der Zustand allerdings ist oft miserabel: „Laut Aussagen des Ministeriums selbst sind 15 Prozent der Radwege komplett fahrraduntauglich“, klagt der Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Dieter Schulz. „Ein weiterer großer Teil ist sanierungsbedürftig.“

Sichtbar wird das selbst auf den Prestigestrecken des Landes, den touristisch vermarkteten Radfernwegen: Der Leine-Heide-Radweg etwa, der von der Leinequelle in Thüringen bis nach Hamburg führt, entpuppt sich bei der Fahrt Richtung Norden schon wenige Kilometer hinter der Landeshauptstadt Hannover zumindest für ReiseradlerInnen als quasi unpassierbar.

Nach einem gut ausgeschilderten und fast durchgängig auf Asphalt verlaufenden Teilstück landet man bei Garbsen sprichwörtlich im Wald. Aufgeweichter Boden und Baumwurzeln mögen für Mountainbiker eine Herausforderung darstellen – wer dagegen mit Gepäck unterwegs ist, dem bleibt nur: absteigen und schieben.

Ähnlich mies sind auch Teilstücke des mit eigener Internetseite beworbenen Allerradwegs von Verden bis zur Quelle bei Magdeburg. Zwischen Rethem und Schwarmstedt führt die Strecke flach und abgetrennt vom Autoverkehr über den Damm der ehemaligen Allertalbahn – eigentlich ideal für RadlerInnen, auch mit Kindern. Doch dem Weg ist anzusehen, dass seit Jahren kein Cent in seine Erhaltung gesteckt worden ist: Die Strecke ist zugewachsen, die befahrbaren Restpfade an manchen Stellen nicht einmal 20 Zentimeter breit. Bei Regen weicht die Strecke auf, wird stellenweise zur Schlammwüste. Und gerade nach Brücken folgen tiefe Schlaglöcher.

„Wer so etwas erlebt hat, kommt nicht wieder“, fürchtet Ilona Krause von der ADFC-Landesgeschäftsstelle in Hannover. Dabei zeigt etwa der Elberadweg auch in Niedersachsen, welches Potenzial Radtourismus haben kann: Im strukturschwachen Amt Neuhaus zwischen Hitz­acker und Bleckede reihen sich an seinen Rändern Hotels, Pensionen, Restaurants und Bistros – schließlich sind auf Deutschlands beliebtestem Radfernweg jährlich Hunderttausende unterwegs. Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt, dass der Radtourismus deutschlandweit für mehr als neun Milliarden (!) Euro Umsatz sorgt – Zahlen für Niedersachsen lässt Wirtschaftsminister Lies gerade erst erheben.

So kann es auch geschehen, dass der Teil des niedersächsischen Radwegenetzes, der in gutem Zustand ist, touristisch kaum genutzt wird: In Ostfriesland, im Emsland und anderswo kann das Radfahren auch entlang wenig befahrener Straßen attraktiv sein. So ist es möglich, den Elbradweg in Bleckede zu verlassen und auf guten Wegen quer durchs Wendland und die Lüneburger Heide nach Hannover zu fahren, 150 Kilometer in zwei Tagen.

Beworben werden diese Touren aber nicht. „Wir brauchen“, so formuliert es Hans-Christian Friedrichs vom Verkehrsclub Niedersachsen, „viel mehr Kreativität“. ANDREAS WYPUTTA