Das Schweigen der Erben: Grüne suchen Gerechtigkeit

Armut Die Ökopartei debattiert Verteilungsfragen. Özdemir dämpft Hoffnungen auf Steuerpolitik

Mit Arbeit kann man kaum noch reich werden

BERLIN taz | Die Journalistin Julia Friedrichs hat bei ihrer Recherche über begüterte Erben in Deutschland Erstaunliches entdeckt gemacht. „Es ist leichter, mit Waffenlobbyisten zu reden als mit Erben“, sagte sie auf dem grünen Gerechtigkeitskongress am Wochenende in Berlin. Wer von seinen Eltern sehr viel Geld bekommt, scheut die Öffentlichkeit. Zufällig reich zu werden hat etwas Peinliches. Denn das widerspricht nicht nur dem Gerechtigkeitsempfinden, sondern auch dem Ethos der Marktwirtschaft, dass jeder und jede es mit Leistung zu etwas bringen kann. In ihrer Generation, so die Mittdreißigerin Friedrichs, gebe es kaum noch die Möglichkeit, mit Arbeit reich zu werden. Dass Gutverdienende fast 40 Prozent ihres Lohn an den Staat abtreten müssen, Aktienbesitzer nur 25 Prozent und Erben fast gar nichts, verstärkt diese Unwucht zusätzlich.

„Es ist genug für alle da“ lautete das etwas gezwungen aufmunternde Motto des GrünenKongresses, auf dem ventiliert wurde. Die Grünen achten nach dem Steuerwahlkampf 2013 sehr darauf, optimistisch zu klingen. Doch der Befund ist wenig erfreulich. In kaum einem anderen EU-Land wird Arbeit so stark, Vermögen so gering besteuert wie in Deutschland. Auch grüne Realos, die Steuererhöhungen gerne in den Giftschrank sperren wollen, bestreiten nicht, dass der Reichtum ungerecht verteilt ist.

Die Experten, die die Grünen geladen hatten, bekräftigten diese Diagnose. Peter Bofinger, verlässlich dissidente Stimme unter den Wirtschaftswissenschaftlern, argumentiert, dass es die Wirtschaft hemmt, wenn Reiche Kapital bunkern, anstatt die Nachfrage anzukurbeln.

Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, skizzierte die Armut in der Republik. Mehr als zwei Drittel aller Alleinerziehenden bekommen Hartz IV. Schneiders Schlüsselsatz lautet: „Wer bei den Steuern kneift, streut den Leuten Sand in die Augen.“ Will sagen: Armut lässt sich nur mildern, wenn der Staat es den Reichen nimmt. Ins gleiche Horn blies Verdi-Chef Frank Bsirske.

Im Windschatten der Debatte blieb dabei das Ökologische. Nur Uwe Schneidewind, Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, erinnerte an die grüne Ethik, die Interessen jener zu vertreten, die in 100 Jahren auf den Philippinen geboren werden und ein Recht auf eine Heimat haben, die nicht vom Meer überspült wird. Denen sei mit der Erbschaftsteuer nicht unbedingt geholfen.

Die Debatten waren gescheit, aber nicht zu akademisch. Was fehlte, war eine Kontroverse, was aus der Diagnose folgt. So skizzierte DIW-Chef Marcel Fratzscher ein ähnliches Bild wie Bofinger und Schneider. Die Verteilung des Vermögens ist zu schroff polarisiert. Doch Sozialtransfers betrachet Fratzscher mit Skepsis. Für den Königsweg hält er Investitionen in Bildung, um verlorene Chancengleichheit herzustellen. Dass Arbeiterkinder weniger Chancen als vor 30 Jahren haben aufzusteigen ist ein Rückschritt ins Ständisch-Feudale. Doch der Streit, ob die Chancengleichheit, mit der Fratzscher die Marktwirtschaft retten will, oder mehr Gleichheit, für die Bsirske und Schneider plädieren, nötig ist, wurde nur angetippt.

Dabei ist dies eine Schlüsselfrage – gerade für die Grünen, die schwanken, mit wie viel Verve sie auf Vermögen- und Erbschaftsteuer drängen sollen. Cem Özdemir, der seine eigene Aufsteigerbiografie geschickt einzuflechten versteht, bekundete, „kein erotisches Verhältnis zu Steuerdebatten“ zu haben. Das darf man als Ankündigung verstehen, dass Steuerpolitik der erste Sandsack ist, der bei schwarz-grünen Koali­tionsverhandlungen abgeworfen wird. STEFAN REINECKE