„Nur der verlängerte Arm der Regie“

Underdogs Am Samstag wurde Claus Wehlisch in Köln als bester Filmeditor mit dem Deutschen Kamerapreis 2016 geehrt. Im Bundesverband Filmschnitt kritisiert er die verschlechterten Rahmenbedingungen der Zunft. Ein Gespräch mit Wehlischs Verbandskollegen Alexander Berner

Die PreisträgerInnen und LaudatorInnen des Deutschen Kamerapreises 2016 Foto: imago

Interview Wilfried Urbe

taz: Herr Berner, was stört Sie an der Situation der Editoren in Deutschland?

Alexander Berner: Unser Beruf hat hier nicht die Bedeutung, die er eigentlich haben sollte. Der Editor wird in Deutschland nur als verlängerter Arm der Regie gesehen. Er hat beispielsweise keinen Einfluss darauf, wer den Ton macht. Das ist schade, weil Editoren viele Filme im Jahr machen und wichtige Erfahrungen sammeln, die sie einbringen könnten. Das tut der Qualität der Produktion nicht gut. Dazu wird von den Auftraggebern immer mehr in immer weniger Zeit verlangt. Parallel dazu stagnieren die Gagen.

Sie selbst arbeiten aus diesen Gründen mittlerweile fast nur noch im angloamerikanischen Raum.

Ja, das ist richtig. Hier bin ich während der Produktion sehr auf mich gestellt und schneide den Film schon während des Drehs, und es obliegt mir, das Material zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Was den Rohschnitt angeht, bin ich vollkommen frei. Ich verstehe mich da als Partner des Regisseurs. Im angloamerikanischen Raum ist der Editor auch für den Produzenten ein wichtiger Ansprechpartner, mit ihm werden die wichtigen Schritte abgestimmt. Denn dort entscheidet auch er über den Einsatz eines Editors. In Deutschland sollten Editoren ebenfalls stärker mit den Produzenten in Verbindung stehen.

Welchen Einfluss hat Ihre Arbeit auf die Sehgewohnheiten des Publikums und möglicherweise umgekehrt?

Die Entwicklung bei der Visualisierung von Popmusik und in der Werbung hat seit den 1980er Jahren dazu geführt, dass die Aufnahmefähigkeit des Publikums enorm gewachsen ist, auch bei der Wahrnehmung von Symbolen und Abkürzungen. Dadurch können Geschichten viel schneller erzählt werden. Früher wurde zum Beispiel gezeigt, wie eine Waffe hervorgeholt, eine Patrone eingefügt und das Magazin durchgeladen wird. Heute genügt nur eine Andeutung davon, und alle wissen, was gemeint ist.

Beschleunigung also als Gesetz der Montagekunst?

Nein, aktuell erleben wir eine Zeit, in der der Erzählfluss wieder etwas ruhiger wird, allein schon durch die demografische Entwicklung, die zu einem älteren Publikum führt, etwa bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Grundsätzlich sind wir immer auf der Suche nach neuen Schnittstilen. Wir saugen insofern Einflüsse von außen auf, im Moment beispielsweise von dem, was Amateure im Internet entwickeln. Aber wir schaffen aus diesen Impulsen auch etwas Neues.

Wo, schätzen Sie, haben Sie selbst die Sehgewohnheiten mit beeinflusst?

Ich denke, das war bei einem meiner ersten Filme: „Schlafes Bruder“. Wir haben dort mit damals neuen Elementen gearbeitet, die wahrscheinlich viel ausgelöst haben. Etwa mit visuellen Einflüssen, die zugleich einen akustischen Raum geschaffen haben, oder mit dem Einsatz zahlreicher assoziativer Montagen. Vor allem die „Jump Cuts“, die vom Zuschauer als „Sprung“ empfunden werden, haben später zumindest in Deutschland sicher andere Produktionen vi­suell geprägt.

Alexander Berner

Der Mann: Alexander Berner ist ein renommierter Filmeditor, der seine Karriere in den frühen 90er Jahren startete.

Die Preise: Bereits viermal wurde der 50-Jährige für seine Schnittkunst („Resident Evil“, „Cloud Atlas“, „Ein Hologramm für den König“ und andere) mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

Das Engagement: Als Vorstandsmitglied beim Bundesverband Filmschnitt Editor TV setzt er sich für seine Branche ein.

Welcher Film hat Sie selbst in letzter Zeit beeindruckt?

„The Big Short“ über die Bankenkrise und Immobilienblase in den USA hat mir sehr gut gefallen. Das war eine ganz neue Art von Filmemachen. Sehr innovativ erzählt, vor allem im Schnitt. Weg von jeglicher Orien­tierung hin zu Szenen im Off, die hervorragend die Entfremdung der Vorgänge zum Ausdruck bringen.

Wie könnte die Situation für Editoren in Deutschland wieder verbessert werden?

Mehr Zeit für die Projekte wäre wichtig, zumal mit der Digitalisierung viel mehr zu sichtendes Material anfällt als früher. Und das in Verbindung mit angemessenen Gagen.