Pech für Pechstein

SPORT Der Internationale Sportgerichtshof bestätigt die Sperre von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein

„Ich stehe unverschuldet vor den Trümmern meiner Karriere“

CLAUDIA PECHSTEIN

VON ANDREAS RÜTTENAUER

„Ich habe lernen müssen, dass es ausgerechnet vor Sportgerichten offenbar keinen Platz für das im Sport so oft beschworene Fair Play gibt.“ Claudia Pechstein, Eisschnellläuferin und Deutschlands erfolgreichste Winterolympionikin kann nicht fassen, dass der Internationale Sportgerichtshof Cas in Lausanne nicht in ihrem Sinne geurteilt hat. Die drei Richter des Cas bestätigten in ihrem gestern Nachmittag veröffentlichten Urteil die Zweijahressperre, die die Internationale Eislaufunion ISU im Juli gegen sie ausgesprochen hatte. Das Blut, das der heute 37-Jährigen im Februar 2009 während der Mehrkampf-WM in Hamar abgezapft worden war, hatte derart auffällige Werte aufgewiesen, dass es nur eine Erklärung dafür geben konnte: Blutdoping.

Gegen die Sperre hatten Claudia Pechstein und der nationale Verband, die Deutsche Eisschnelllaufgesellschaft, vor dem Cas geklagt. Doch der bestätigte nun in seinem abschließenden Urteil die Sperre. Es gebe keine Hinweise auf eine Krankheit Pechsteins und auch nicht darauf, dass ein Gendefekt für die hohen Retikulozytenwerte in ihrem Blut verantwortlich sei, so die drei Richter Massimo Coccia (Italien), Stephan Netzle und Michele Bernasconi (beide Schweiz) in ihrem Urteil. Der Anteil der Retikulozyten, einer Vorstufe der roten Blutkörperchen, waren während der Mehrkampf-WM stark erhöht (siehe unten). Elf Tage später aber sind wieder niedrige Werte gemessen worden. Für den Cas steht fest, dass sich der im Vergleich zur Normalbevölkerung und zu Pechsteins üblichen Werten abnorme Retikulozytenanteil einzig durch eine „unerlaubte Manipulation ihres eigenen Blutes“ begründen lässt. Für den Cas gibt es keinen Zweifel: Claudia Pechstein hat gedopt. Die Sperre, die bis Februar 2011 gilt, bleibt bestehen.

Kurz nachdem ihr das Urteil zugegangen war, verkündete Pechstein via Pressemitteilung, was sie seit Juli bei jeder sich bietenden Gelegenheit sagt: „Ich habe nie gedopt und ein reines Gewissen.“ Dem Gericht wirft sie Sportrechtsbeugung vor. Das ursprünglich vor zwei Wochen erwartete Urteil sei auch deshalb mit Verspätung gesprochen worden, weil „hinter den Kulissen Kräfte gewirkt haben, die den indirekten Beweis in diesem Präzedenzfall nicht scheitern sehen wollten“. Die Eisschnellläuferin ist eine der wenigen Athletinnen, die nicht aufgrund eines positiven Dopingtests oder eines Geständnisses gesperrt wurde.

Deshalb wurde das Urteil im Dopingfall Pechstein auch mit großer Spannung erwartet, weil anhand eines einzigen Indizes auf Doping geschlossen wurde. Das Urteil des Cas könnte nun andere Sportverbände ermutigen, Sportler ebenfalls wegen auffälliger Blutwerte aus dem Verkehr zu ziehen. Bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur in Bonn hat man schon lange auf einen derart prominenten Fall gewartet. Nada-Präsident Armin Baumert sagte, noch bevor er das Urteil kannte: „Wenn der Cas zu der Ansicht gelangt, dass ein Parameter wie der Retikulozytenwert ausreicht, wird das unsere Richtschnur sein.“

Auch Detlef Thieme, der Leiter des Instituts für Dopinganalytik und Sportbiochemie in Kreischa, einem von der internationalen Anti-Doping-Agentur Wada akkreditierten Analyselabor, ist sich sicher: „Das Prinzip ist bestätigt. Individuelle Blutprofile und Blutpässe werden an Bedeutung gewinnen.“ Das glaubt auch der Kölner Doping-Analytiker Wilhelm Schänzer. Er sagt aber auch: „Nicht wohl ist mir aber, dass das Urteil nur auf einem Parameter beruht.“ Die Wada arbeitet derzeit an Richtlinien für ein Blutpassprogramm für Sportler. Dort sollen neun verschiedene Parameter zur Beurteilung der Werte herangezogen werden.

Man darf nun gespannt sein, ob die Blutbilder, die die nationalen und internationalen Sportverbände von ihren Athleten in den letzten Jahren angelegt haben, vor den Sportgerichten als Beweismittel vorgelegt werden. Der Internationale Radsportverband UCI spricht immer wieder von etlichen Profis, deren Blut auffällig unnormal sei. Mal sehen, ob die betreffenden Radler nun, da der Cas ein so eindeutiges Urteil gesprochen hat, von ihren Verbänden gesperrt werden.

Claudia Pechstein indes will weiterkämpfen gegen die Sperre. Sie will den Bereich der Sportgerichtsbarkeit verlassen, in dem die Beweislastumkehr das rechtliche Prinzip ist; das heißt, wenn ein Sportverband eine Sperre ausgesprochen hat, muss der Sportler seine Unschuld beweisen. Das ist Claudia Pechstein vor dem Cas nicht gelungen. Die Rechtmäßigkeit dieses Urteils will sie nun vor dem Schweizer Bundesgericht in Lausanne prüfen lassen. Ihr Anwalt Simon Bergmann ist der Meinung, „dass der Cas die Reichweite der auch im Sportrecht geltenden Unschuldsvermutung verkannt hat“. Er sprach von einem „schwarzen Tag für die Sportrechtsprechung“.

Die sportliche Laufbahn von Claudia Pechstein könnte mit dem Urteil vom Mittwoch zu Ende gegangen sein. Bis dato hatte sie immer noch davon gesprochen, an den Olympischen Spielen von Vancouver teilnehmen zu wollen. „Keine Ahnung, ob die Qualifikation für Olympia noch möglich ist“, meint sie nun und drückt ganz fest auf die Tränendrüse: „Ich stehe unverschuldet vor den Trümmern meiner Karriere.“ Gedanken machen muss sie sich auch über ihre Zukunft als Beamtin der Bundespolizei. Die hat bereits nach dem ISU-Urteil ein Disziplinarverfahren gegen Polizeihauptmeisterin Pechstein eingeleitet.

Mitarbeit: Johannes Kopp