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: Über Unorte und Unworte

Die Wohnsitzdebatte erfährt übers Wochenende eine radikale Zuspitzung – argusäugigen Managern sei dank

Am Samstag hat Uli Hoeneß, der Wurstfabrikant mit der Nebenerwerbsquelle Fußball, das Igitt-Wort in den Mund genommen. „Scheiß“, sagte Hoeneß im Fernsehen. Das Wörtchen Scheiß stellte er in einen großen Rahmen, den er um die WSD zimmerte. WSD ist ein mittlerweile branchenübliches Kürzel; es bezeichnet die Wohnsitzdebatte. In der Wohnsitzdebatte beschäftigen sich der Wurstfabrikant, sein Bruder und ein Fußballfachwart aus Gelsenkirchen mit der Frage, ob Jürgen Klinsmann, das nestflüchtige Bundestrainerle, in der Sonne Kaliforniens abhängen darf oder gefälligst an einem Schreibtisch in deutschen Landen Fußballakten zu studieren hat – und zwar ständig.

Mit geschwollenem Kamm, das Gesicht so rot wie eine Debreziner, forderte Uli Hoeneß: „Er soll hier herkommen. Dann reden wir darüber, und nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und hier uns den Scheiß machen lassen. Er muss öfter hier sein, das ist alles.“ Das wirft natürlich die Frage auf, welchen Scheiß Klinsmann für Hoeneß machen soll. Soll er unter der Woche ein verschärftes Einzeltraining mit Michael Ballack ansetzen, für das sonst der Manager zuständig wäre? Oder soll Klinsmann herkommen, damit sich Hoeneß nicht mehr das Generve aus dem Ruhrpott anhören muss?

Die WSD, muss man wissen, erlebt periodische Zuspitzungen. Die Debatte schien schon erledigt, damals, vor dem Confed-Cup. Klinsmann trat auf dem vorläufigen Höhepunkt der WSD im ZDF auf und erklärte, die Distanz bringe ihm und dem deutschen Fußball sehr, sehr viel. Die Kritiker ließen daraufhin fünfe gerade sein, zumal das Team bei der Miniatur einer WM ganz gut kickte. Nun aber, da sich das Nationalteam in einer Herbstdepression befindet, entdecken selbst Freunde des Kaliforniers das retardierende Moment und bekritteln Klinsmanns Jet-Setting. Hätten sie vor geraumer Zeit nichts gegen eine Einsatzzentrale auf den Osterinseln oder Vanuatu gehabt, so muss es nun unbedingt Hessen oder Schwaben sein. Herausreißen wollen sie den DFB-Weltmeistermacher aus seiner Splendid Isolation, explantieren aus dem Sonnenstaat, aber so einfach ist das nicht. Denn da gibt es noch die Schar der Vasallen und Fürsprecher, die sich in der Person von Oliver Bierhoff materialisieren. Der DFB-„Manager“, der sich ganz gern für die neoliberale „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ stark macht, wehrt sich gegen „polemisierende“ und „emotionale“ WSD-Statements, die an der Tagesordnung sind, seit Franz Beckenbauer von einem „Murren“ in der Liga gesprochen hat und damit die herbstliche Jagdsaison auf Klinsmann offiziell eröffnete. Das Murren schwillt mittlerweile zu einem medialen Bocksgesang an. Klinsmann ist zu weit weg, um das atonale Gesumms zu hören. Gut so. MARKUS VÖLKER