Wie macht der’s eigentlich?

Matthias Brandt ist der zurzeit beste deutsche Fernsehschauspieler. Bei ihm werden auch die Nebenrollen zu kleinen Sensationen – heute zum Beispiel in „Die Leibwächterin“ (20.15 Uhr, ZDF)

VON CHRISTIAN BUSS

Wer auf der Straße in Matthias Brandt rennt, denkt nicht gleich, dass er ihn aus dem Fernsehen kennt. Selbst wenn am Abend zuvor ein toller Film mit ihm lief. Wir treffen uns zum Interview beim Portugiesen am Hamburger Hafen; Brandt mag grünen Wein und gegrillten Fisch, selbst mit den Gräten kann der Berliner inzwischen umgehen. Die Dorade ist super. Um sie zu genießen, darf man ruhig mal ein bisschen schweigen. – Brandt kann das tatsächlich; andere Schauspieler halten es für ihren Job, die ganze Zeit sich selbst darstellen.

Bis vor einigen Jahren hat er fast ausschließlich Theater gespielt, auf einmal sieht man ihn ganz oft im Fernsehen. Jeder seiner Auftritte ist eine kleine stille Sensation, auch wenn er nur eine Nebenrolle spielt. So wie zum Beispiel im Thrillermelodram „Die Leibwächterin“, das heute im ZDF zu sehen ist, wo er mit einigen wenigen Sätzen und Gesten ein komplexes soziales Arrangement zum Ausdruck bringt. Matthias Brandt ist ja bereits Mitte 40, er sagt: „Das mit dem Planen hat bei mir noch nie so recht geklappt. Man sucht sich so seinen Weg, ich brauche meist sehr lange dafür. Und wenn ich dann meinen Platz gefunden habe, halte ich es da manchmal eben gar nicht lange aus.“

Ein bisschen sollte er aber noch beim Fernsehen verweilen, er würde uns damit sehr glücklich machen. Neulich war er in einem Sozialdrama zu sehen, direkt zuvor in einer romantischen Komödie. Das sind zwei Genres, die im deutschen Fernsehen eigentlich kaum zu ertragen sind, denn für das eine suhlt man sich in Betroffenheit und für das andere in Frauenzeitschriften-Klischees. Brandt aber spielte hier wie dort mit Präzision und gedrosseltem Sentiment.

Im Sozialdrama „In Sachen Kaminski“ war er als lernbehinderter Vater zu sehen, dem man die Tochter wegnimmt. Er setzte sich eine Brille mit dicken Gläsern auf und verzichtete beim Sprechen auf den Genetiv. Doch statt einer denunzierenden Unterschichtenbesichtigung bot er psychologische Akkuratesse: Wie lernt ein Mensch sich zu begreifen, dem das Begreifen an sich schwer fällt? In „Mr. & Mrs. Right“, der romantischen Komödie, spielte Brandt einen Hypochonder, der die Frau liebt, in der er bislang nur einen guten Kumpel sah. Erst hält man ihn für den lustigen Sidekick, dann entwickelt er tragikomische Tiefe – und bekommt gegen alle Paarungsgewohnheiten im deutschen TV die tolle Blondine.

Wie die Figuren, die er verkörpert, hält sich der Schauspieler gern im Hintergrund. Als jüngster Sohn Willy Brandts stand er oft im Licht der Öffentlichkeit, in den letzten Tagen von Willys Kanzlerschaft begann Matthias’ Pubertät; auf alten Aufnahmen sieht der Junge immer ein bisschen unglücklich aus. Die geliebte Arbeit für das Theater hatte später dann auch den angenehmen Nebeneffekt, sich selbstbestimmt der Öffentlichkeit zu stellen: „Wenn ich auf der Bühne stehe, ist das für mich ein sehr bewusster Vorgang. Ich übertrete quasi eine Schwelle und exponiere mich.“

Beim TV-Anfang, sagt Brandt, „war viel Scham und Scheu. Mit der Kamera und ihrem unerbittlich genauem Blick musste ich erst lernen umzugehen. Heute bin ich da entspannter, begreife sie als ein Teil der Technik, die man in sein Spiel mit einbezieht.“ Zu viel mag er aber auch nicht über seine Arbeit nachdenken: „Ich wunder’ mich über Kollegen, die glauben, ihr Handeln ganz genau deuten zu können. Ich will nicht ausschließen, dass ich mich an irgendetwas abarbeite. Aber darüber möchte ich mir keine Gedanken machen, weil ich nicht glaube, dass das der Sinn dieser Tätigkeit ist.“ Trotzdem kann er kaum bestreiten, dass er immer wieder zur eigenen Biografie zurückkehrt.

Seinen ersten großen Fernsehauftritt hatte er in dem Politdrama „Im Schatten der Macht“, für das er ausgerechnet den DDR-Spion Guillaume spielte, der für den Sturz seines Vaters als Kanzler verantwortlich war. Und im November kommt die Doku „Schattenväter“ ins Kino, wo das reale Politdrama des Jahres 1974 aus Sicht der Söhne rekonstruiert wird. Neben Brandt jr. erinnert sich Guillaume jr. – Keine glückliche Konstellation, da sie schicksalsschwanger eine Verbundenheit zwischen den beiden suggeriert, die nicht existiert hat.

„Jeder denkende Mensch beschäftigt sich doch damit, woher er kommt und wie das sein Leben prägt“, meint Brandt. „Das war bei ,Schattenväter‘ auch schon ein Stück Aufarbeitung in eigener Sache, bei der ich – vielleicht sogar relativ egoistisch – mir noch mal meine Geschichte vergegenwärtigt habe. Da meine Familiengeschichte eine öffentliche war, dachte ich, es sei nicht verkehrt, mich dazu in diesem Rahmen öffentlich zu äußern. Andererseits: Ich hätte das auch nicht haben müssen. Ich bin in dieser Sache wirklich nicht obsessiv. Wenn man mich in Ruhe lässt, fange ich bestimmt nicht selbst davon an.“

Matthias Brandt macht aus nichts ein Geheimnis, ohne allzu viel von sich preiszugeben. Später, nach dem Essen, trägt er noch Dialoge aus alten Filmen mit Jack Lemmon vor, und als er den letzten Schluck Wein runtergespült hat, sagt er: „Ich bin im Moment eigentlich sehr zufrieden, weil sich die Leute immer mehr fragen: Was macht der eigentlich für eine Arbeit?“