Rege Teilnahme am Referendum im Irak

Die Iraker haben über die neue Verfassung abgestimmt. In der multiethnischen Stadt Kirkuk im Norden des Landes votieren die Kurden mehrheitlich mit „Ja“, während bei Sunniten und Turkmenen Ablehnung vorherrscht. Die Christen sind gespalten

AUS KIRKUK INGA ROGG

Der Polizeichef von Kirkuk, Sherko Shakir, ist zufrieden. „Wir haben den Terroristen die Stirn geboten“, sagt Shakir. Die hohen Sicherheitsvorkehrungen während des Referendums über die Verfassung am Samstag haben in Kirkuk wie im Rest des Landes gegriffen. Die Abstimmung verlief weitgehend friedlich. Im Großraum Bagdad überfielen Bewaffnete zwei Wahllokale und stahlen die Urnen, im Westirak wurden zehn Wahlhelfer entführt. Wie schon bei den Wahlen im Januar ließen sich die Iraker auch beim Verfassungsreferendum nicht von Drohungen der Extremisten einschüchtern.

In Kirkuk war bereits kurz nach Öffnung der Wahllokale eine rege Beteiligung zu verzeichnen, die im Laufe des Tages allerdings an Schwung verlor. Nach ersten Schätzungen haben sich in der gesamten Provinz mehr als 500.000 Stimmberechtigte an der Abstimmung beteiligt, was einer Steigerung von 25 Prozent entspräche. Dabei machten diesmal auch die arabischen Sunniten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Die Vorbehalte der ehemaligen Elite konnten auch die Nachbesserungen in letzter Minute nicht ausräumen.

Im Viertel des 1. März verlassen Safinaz Bekir und ihre drei Schwestern das Wahllokal. Langsam schreiten sie über den leeren, staubigen Platz, über ihnen kreist ein US-Hubschrauber. Alle vier, die sich an der Wahl im Januar nicht beteiligt haben, haben mit Nein gestimmt, sagt Safinaz. Die Schwestern entstammen einer alten sunnitisch-arabischen Offiziersfamilie. „Wir wollen einen starken Irak“, sagt die Ingenieurin. „Und eine starke Armee“, fällt ihr ihre Schwester Amira ins Wort. Wie viele Sunniten sehen sich die Schwestern als die wahren Verteidiger des Irak. Dass Kirkuk einmal Teil des kurdischen Teilstaats im Norden werden könnte, finden sie eine erschreckende Perspektive.

Genau darauf hoffen die Kurden von Rahimawa, dem großen kurdischen Quartier im Nordosten der heruntergekommenen Stadt mit den reichen Ölvorkommen unter den schäbigen Straßen. Schon kurz nach Öffnung der Wahllokale ist der Andrang vor den Wahllokalen in den kurdischen Vierteln hoch. „Ich habe selbstverständlich mit Ja gestimmt“, sagt Rupak Star und zeigt wie zum Beweis ihren eingefärbten Zeigefinger. Wie die Schiiten im Süden des Landes, wo die Wahlbeteiligung ebenfalls hoch war, haben die Kurden erstmals an einer Verfassung des Landes mitgeschrieben und ihr in zentralen Passagen ihren Stempel aufgedrückt. Dabei haben sie eine Klausel durchgesetzt, die ihnen langfristig den Zugriff auf Kirkuk sichert.

Während unter den Kurden das „Ja“ überwiegt, erwarten sich viele Turkmenen von der Verfassung wenig Gutes. In Kuria, wo viele Wohlhabende wohnen, ist die Wahlbeteiligung bereits am frühen Morgen rege. Vor der Schule neben der Polizeiwache reißt der Strom nicht ab: Alte, Frauen und Männer mit Kindern auf dem Arm und Grüppchen von Studenten haben sich auf den Weg gemacht, um über die Verfassung abzustimmen. „Ich habe mit Nein gestimmt“, sagt Sultana Mohammed. In einen schwarzen Umhang gehüllt, das Haar von einem fest gebundenen weißen Kopftuch bedeckt, macht sie sich gebückt auf den Nachhauseweg. „Diese Verfassung macht uns zu Bürgern dritter Klasse“, sagt die alte Frau. Sultana Mohammed ist wie viele in Kuria Turkmenin. Die Turkmenen fürchten, von den Kurden, die hier den Ton angeben, an den Rand gedrängt zu werden.

Obwohl an dem Grundgesetz auch Vertreter der christlichen Minderheit mitgewirkt haben, findet sie bei den Christen in Kirkuk nur teilweise Zustimmung. Sami Shadrakh und seine beiden Freunde lehnen sie rundherum ab. Den drei Studenten fehlt darin die ausdrückliche Festlegung, dass auch ein Christ Staatspräsident werden kann. Vor dem Wahlzentrum lobt dagegen die Lehrerin Charlotte Isho, die Verfassung bringe allen Bürgern Freiheit, Demokratie und Gleichheit. Deshalb ebne sie auch den Weg für ein Ende der Gewalt.

Beobachter werten die Teilnahme der arabischen Sunniten als Zeichen für ihre Bereitschaft, sich von der Gewalt abzuwenden und stärker am politischen Prozess zu beteiligen. Im multiethnischen Kirkuk freilich hat die Verfassung die Gräben zwischen Ethnien und Konfessionen nicht verringert.