Parteitag zur falschen Zeit

Den Grünen fehlt bei ihrem ersten Treffen nach Rot-Grün so ziemlich alles: Themen und ein Nachfolger für Joschka Fischer

AUS OLDENBURG ULRIKE WINKELMANN

Einen Gefallen haben sich die Grünen damit nicht getan, dass sie schon wieder die Ersten sein wollten. Als erste Partei nach der Bundestagswahl veranstalteten sie am Wochenende ihren Parteitag – und landeten mit dem Termin punktgenau im großkoalitionären Verhandlungs-Nichts. Wohin die schwarz-rote „Albaner-Koalition“ (Jürgen Trittin) will, wissen auch die Grünen noch nicht.

Das ist ein Problem für eine Partei, die sich vorgenommen hat, „Inhalte vor Macht“ zu setzen. Es gab für die Grünen im niedersächsischen Oldenburg keine Regierungsinhalte, auf die sie eindreschen konnten, und auch keine Oppositionsinhalte, die sie sich selbst mit auf den Weg geben mochten. Stattdessen mussten sich die über 700 Delegierten über Koalitionsmöglichkeiten, also über Macht unterhalten. Genauer gesagt: über deren Nichtvorhandensein.

Einerseits liegen mit dem Abschied aus der rot-grünen Regierung, dem Aufstieg einer neuen Linkspartei und dem Sondierungsgespräch über eine schwarz-gelb-grüne „Jamaica“-Koalition zwischen Unions- und Grünenspitzen nun für die Zukunft neue Regierungsmöglichkeiten auf dem Tisch.

Andererseits werden die Machtoptionen um so schwammiger, je genauer man sie anschaut. In Sachsen-Anhalt kämpfen die Grünen unter ihrer Chefin Ines Brock darum, überhaupt zu Fernsehrunden eingeladen zu werden. Brock, auf eine schwarz-grüne Koalition angesprochen: „Wir sind schon froh, wenn wir die 60.000 Stimmen halten können, die wir bei der Bundestagswahl hatten!“ Auf die Linkspartei beziehungsweise die PDS reagieren die Ostgrünen nicht erst seit der Hartz-IV-Kontroverse recht empfindlich.

In Rheinland-Pfalz regiert Landesvater Kurt Beck von der SPD schon länger mit der FDP und wird dies im Zeichen einer rechtsdrehenden Bundespolitik voraussichtlich auch noch länger tun. Durch übermäßigen Ehrgeiz fallen die Pfälzer Grünen ohnehin nicht auf. Und in Baden-Württemberg hat Günther Oettinger von der CDU zwar ein Interesse daran, das schwarz-grüne Thema am Kochen zu halten, um den Koalitionspartner FDP ein bisschen anzutreiben.

Doch hier glauben selbst Realos nicht ans Mitregieren. Anders zu verstehende Signale des grünen Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann werden von vielen für eher unglücklich gehalten: „Wir sind in der Opposition und Punkt“, sagt ein Baden-Württemberger, der gewiss kein Linker ist. Kretschmann selbst kämpfte in der oldenburgischen Weser-Ems-Halle um Glaubwürdigkeit, indem er die Union angriff: Diese habe nicht begriffen, „dass die soziale Frage sich mehr denn je über den Zugang zur Bildung entscheidet“.

Nun darf ein Koalitionär in spe seine wahren Absichten natürlich nicht vorher verraten. Und grundsätzlich wollen die Grünen in den Worten der neuen Fraktionschefin Renate Künast ja alle „Türen offen“ halten – auch für die Union. Doch sagte Künast auch: „Wir geben hier keine Kontaktanzeige auf. Wir suchen keinen Partner, mit dem wir täglich über Koalitionen reden wollen.“

Die ehemalige Verbraucherministerin Künast verfügt aus ihrer Regierungszeit über einen großen Schatz an Parolen zu Ackerbau und Viehzucht, die sich durchaus für grüne Oppositionszeiten eignen: „Klein, aber klasse“, „Klasse statt Masse“, etwa. Einen kurzen, noch etwas undeutlichen Angriff startete sie gegen den ersten sich abzeichnenden Koalitionskonsens zum Elterngeld und zu den erhöhten Steuerfreibeträgen für Eltern: „Wohl gemerkt: Die Kinder müssen sich entwickeln, nicht die Eltern mehr Geld kriegen“, rief sie.

Ein unklares Signal: Einerseits scheiterte das Elterngeld, das besonders Akademikerinnen zum Kinderkriegen ermuntern soll, erst vor wenigen Monaten knapp auf dem Grünen-Wahlparteitag. Eine Ablehnung, die auch zu dem im Wahlkampf eingeschlagenen sozialen Kurs der Grünen passt, der sich eher an armutsfester Grundsicherung als an den Besserverdiener-Klassen orientiert.

Andererseits sieht zum Beispiel Ursula Engelen-Kefer, als DGB-Vize zu Gast auf dem grünen Parteitag, das Elterngeld weiterhin als rot-grünes Projekt. Die SPD-Politikerin war nach Oldenburg gekommen, um das rot-grüne Fähnchen hochzuhalten und für Bündnisse mit den Gewerkschaften zu werben. Neben dem Elterngeld, erklärt sie, will sie die Bürgerversicherung, das Antidiskriminierungsgesetz und die Gleichstellungspolitik vor der Union retten. „Wenn die SPD Kompromisse eingehen muss, brauchen wir die Opposition“, sagte Engelen-Kefer zur taz. Den Grünen zollte sie Respekt dafür, nicht in eine „Jamaica-Koalition“ gegangen zu sein – die reagierten auf solche Freundlichkeiten jedoch nur verhalten und zu Beginn sogar mit einigen Buhrufen.

Viel Jubel erhielt Künast für ihre Rede, mit der sie sich erstmals vor der Basis als oberste grüne Pointenjägerin und legitime Nachfolgerin von Joschka Fischer in Stellung brachte. Ihr Kofraktionschef Fritz Kuhn redete gar nicht. Allerdings ließ sich auch Jürgen Trittin, nach Übernahme von Künasts Ministerinnengeschäften noch für ein paar Wochen „Super-Minister“, so feiern, als hätte er noch mehr vor als ein bloßes Abgeordnetendasein. Sollten die Grünen wieder etwas nach links schwenken, wie es sich auf nun zwei Parteitagen abgezeichnet hat, wäre er auch der Kandidat aus der Führungsriege, der die bislang freundlichsten Worte für die Linkspartei gefunden hat.

Fischer fehlte trotzdem. Auch Parteichef Reinhard Bütikofer konnte sich nicht erinnern, „seit wie vielen Jahren Joschka erstmals nicht dabei ist“. Bütikofer, der bis Anfang letzter Woche versucht haben soll, Fischer zum Kommen zu bewegen, meinte: „Vielleicht hatte er Angst, dass es rührselig wird“ – und sagte dann selbst schnell: „Vielen Dank für die letzten zwanzig Jahre. Wir bleiben beieinander.“ Der Parteitag klatschte höflich. Vielleicht war es auch für Emotionen einfach der falsche Termin.