der rote faden
: Europa oder: Am Ende doch ein bisschen Linksruck

nächste wocheMeike LaaFf Foto: Helene Wimmer

durch die woche mit

Robert Misik

FPÖ

In Europa ist ja manches politisch gerade in Bewegung, und das geht mal in diese, mal in jene Richtung, aber ein Muster zieht sich beinahe als roter Faden überall durch: Wer als Teil des politischen Establishments gilt, der oder die hat es heutzutage gar nicht leicht. Klar, wir können die politischen Umbrüche entlang der Links-rechts-Achse erklären („Aufstieg des rechten Populismus“ etc.), aber viel entscheidender ist die Oben-unten-Differenz: Wer sich als neu, unverbraucht zu präsentieren vermag, wenn nicht sogar als großer Herausforderer „der politischen Eliten“, der hat die popularen Energien hinter sich.

Das ist natürlich das Geheimnis der relativen Stärke der rechtsradikalen Freiheitlichen in Österreich. Die haben die Präsidentschaftswahlen zwar verloren, mit 49,7 Prozent aber nicht gerade eine krachende Niederlage. Und außerdem haben sie die Wahl gegen den Kandidaten der Grünen verloren, der ja auch nicht unbedingt als Verkörperung eines jahrzehntelang gewachsenen Politfilzes gilt.

Übrigens: Ganz, ganz schlechte Verlierer, ficht die FPÖ die Wahl jetzt an, weil es Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Etwa von der Art: Da und dort wurden Briefwahlkuverts nicht erst Montags ab 9 Uhr geöffnet, sondern früher, da und dort wurden sie vor der Auszählung vorsortiert. Nichts deutet darauf hin, dass diese Schlampigkeiten im nennenswerten Ausmaß Stimmen verschoben hätten – aber Hauptsache man diskreditiert mit einer demokratischen Wahl die Demokratie selbst. Nun ja, andererseits: dass Rechtsradikale die Demokratie schlecht zu machen versuchen … Große Überraschung.

Schlechte Verlierer

Aber zurück zum Anti-Establishment-Setting: Dass in Österreich jetzt ein neuer SPÖ-Vorsitzender und Kanzler den Kampf gegen die FPÖ aufnehmen soll, der von jenseits des bisherigen Parteiestablishments kommt, ist in diesem Zusammenhang ja auch kein Zufall, sondern leicht aus dieser großpolitischen Spielanlage zu erklären. Traditionsparteien müssen sich heute mindestens mit einer Aura der radikalen Erneuerung umgeben, wenn nicht selbst mit einer Prise Anti-Establishment-Kultur, wenn sie nicht vollends aufs Abstellgleis geraten wollen.

Was wir in unseren Breiten noch nicht richtig auf dem Radar haben: In Spanien kündigt sich gerade eine politkulturelle Revolution an. Nachdem die Wahlen vom Dezember ein veritables Patt brachten, steht in drei Wochen die Neuauflage der Parlamentswahlen an. In den Umfragen liegt die konservative Volkspartei PP nur mehr knapp vorne, und das linke Wahlbündnis Podemos ist der PP schon auf den Fersen. Die traditionelle Sozialdemokratie PSOE, im Dezember noch vor Podemos, ist schon recht weit abgeschlagen. Zwar würde, wenn die Wahlen so ausgehen, wie es die Umfragen nun andeuten, Mehrheitsbildungen immer noch schwierig – aber eine Linksregierung von Podemos, PSOE und anderen kleinen Parteien ist mittlerweile eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Die Sozialdemokraten hatten ein solches Bündnis, in dem sie den Premier stellen hätten können, die letzten Monate abgelehnt und auf ein Dreierbündnis von PSOE, Podemos und einer rechtsliberalen Partei gedrängt. Gut möglich, dass sie damit ins Messer rannten.

Podemos

Aber gut, hinterher ist man immer klüger. Ich muss ja zugeben, dass mich der Höhenflug von Podemos selbst überrascht. Ich hatte ja befürchtet, dass die Monate der Instabilität den Konservativen nützen würden, die immer noch stärkste Partei sind, aber ohne Regierungsmehrheit dastehen. Man hätte gut annehmen können, dass die Botschaft: „Da seht ihr, welche Instabilität ihr bekommt, wenn ihr Linksparteien wählt“ eher zum Vorteil der konservativen PP ausschlägt.

Europäische Balance

Aber die Herausforderung, die Podemos für die rechte Krisenpolitik und die „La Kasta“ – „die regierende Kaste“ – darstellt, ist offenbar anziehender, als die Gefahr der Instabilität abschreckend wirkt.

Für die europäische Balance wird das spannend: Dann hätten wir bald zwei Regierungen, an denen radikalere Linksparteien führend beteiligt sind – nämlich Griechenland und Spanien –, dazu einige sozialdemokratische Premierminister, die „out of the box“ denken, wie etwa Italiens Matteo Renzi und Österreichs Kanzler Christian Kern. Ein Netzwerk aus diesen und einigen anderen Akteuren könnte dann versuchen, zu einem neuen Gravitätszentrum der Progressiven in Europa zu werden, was angesichts des chronischen Schwächelns der deutschen und französischen Sozialdemokraten nicht gerade bedeutungslos wäre.

Also, Leute, bevor ihr frus­triert auf eure AfD und sonstige Ärgernisse starrt: Es ist nicht unbedingt alles schlecht, was gerade passiert.