Mit dem Rollator bergab

Elektro-MTB Die Elektrifizierungdes Mountainbikes bringt die Szenein Wallung – birgt aber gleichzeitig großes Potenzial. Ein Plädoyer fürden Motor

Sich den Berg „ehrlich erarbeiten“? Nun ja … Foto: Jens Schwarz/laif

von Gunnar Fehlau

Das E-Bike boomt. Über 500.000 Stück sollen 2016 über die Ladentheke gehen, darunter immer mehr E-Mountainbikes. Doch: Anders als bei den City- und Tourenpedelecs lässt sich hier keine Argumentation entlang körperlicher Bedürftigkeit und grüner Nahmobilität entfalten. Das E-MTB proklamiert eine hedonistische Waldnutzung mit zugkräftigem Motor. Damit eckt es nicht nur bei Umweltschützern und Waldbesitzern an, auch bei Fitness-Nazis und den Fundis der Bike-Szene.

Gerade hat der ökologisch korrekte Radfahrer das massenhafte Aufkommen des Pedelecs in den Innenstädten einigermaßen verdaut, da stehen nun die eingefleischten Mountainbiker vor den elektrifizierten Geländevelos und ringen nach Luft: „Verrat am Sport“, ist zu hören. Oder: „Eine Abfahrt muss man sich verdienen!“

Das E-Bike hat sich im Kern trotz und nicht wegen der Fahrradbranche oder Politik durchgesetzt. Der eingebaute Rückenwind nimmt der Leidenschaft das Leiden. Da nicht mehr zwangsläufig geschwitzt werden muss, ist diese Art des Radfahrens auch für viele ehemalige „Nicht-Radler“ attraktiv geworden. E-Biker rekrutieren sich aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten. Das E-Bike ist der Motor der Fahrradbranche. Nahezu alle Mahner aus Anfangszeiten sind inzwischen zu Verfechtern der Elektrifizierung geworden. Radläden, die den Verkauf und die Wartung von E-Bikes verweigerten, sind heute dick im Geschäft. Es gab Ortsgruppen des ADFC, die E-Biker bei ihren Touren nicht dabei haben wollten, heute bieten sie Pedelec-Fahrtechnikkurse an. Dieser Prozess wiederholt sich nun beim Mountainbike.

Noch vor wenigen Jahren war von namhaften Herstellern zu hören: „E-MTBs passen nicht zum sportiven Kern unserer Marke und zu den Wurzeln des Sports.“ Da lohnt ein Blick in die Geschichtsbücher, in diesem Fall in das Buch „Fat Tire Flyer. Repack and the Birth of Mountain Biking“. Dessen Autor, Charlie Kelly, darf zur Riege der MTB-Erfinder gezählt werden. Und er beschreibt, dass die Biker überhaupt nicht daran dachten, sich den Berg „ehrlich zu erarbeiten“. Für den Anstieg luden sie ihre Räder einfach auf einen Pick-up. „Ehrlicher Sport ohne Motor“: eine romantische Mär. Heute immerhin vollzieht sich beim Mountainbike die Verschiebung vom fossilen Brennstoff zu erneuerbaren Energien.

Dass Szenegrößen wie Guido Tschugg oder Nicolas Vouilloz ihre abenteuerlichen und sehr sportlichen Touren und Stunts immer öfter auf einem E-MTB durchführen, werten eingefleischte Biker indes nicht als Ausdruck eines Wandels, sondern als Verschwörung: Die Industrie nutze ihre Macht über Sportler aus, um das E-Bike zu pushen. Auf die Idee, dass diese Sportler lustvoll die neuen Möglichkeiten ausloten wollen, kommt der engstirnige Advokat der Muskelkraft offenbar nicht.

Man fährt Hügel hinauf, die vorher unbezwingbar schienen, in ausge- glichenen Gruppen

Dabei gibt es abseits der Szenepolizei immer weniger Kontaktängste mit dem E-MTB: Es wird als Option wahrgenommen und gekauft. Man fährt Hügel hinauf, die vorher unbezwingbar schienen, in ausgeglichenen Gruppen, die früher leistungsmäßig viel zu inhomogen waren. Gut, es können auch Probleme auftauchen. So verändert sich etwa die Nutzungsrichtung mancher Trails. Das muss sich herumsprechen, um Kollisionen und Konflikten aus dem Weg fahren zu können. Ein anderes oft bemühtes Gegenargument stellt sich in der Realität jedoch meist als haltlos dar: Der E-Biker wage sich in Gelände, dem er fahrtechnisch nicht gewachsen sei.

Tatsächlich jedoch bleibt der Mountainbiker nahezu immer auf Wegen, die er aufgrund der persönlichen Erfahrung als „fahrbar“ erachtet – ob mit oder ohne Motor. Wer erstmals auf dem E-MTB steile Berge erklimmt, wird sich kaum tollkühn die steilsten Stiege hinabstürzen. Einfach weil ihre Befahrung außerhalb des eigenen Möglichkeitsdenkens liegt. Unzweifelhaft ist aber der Umstand, dass es durch mehr Biker enger werden kann im Wald und mehr Nutzung mehr Miteinander erfordert.

Faktisch bieten die meisten namhaften Hersteller mittlerweile E-MTBs an. Es werden neue Kundensegmente erschlossen, und das Thema wird auch vom Tourismus unterstützend aufgegriffen. Viele Regionen setzen auf das E-Bike aus ökonomischen wie ökologischen Gründen. Denn sie hoffen, mit E-Bikes das Dilemma aufzulösen, dass Biker neben flüssigen Abfahrten auch eine optimale und somit teure Liftlogistik erwarten. Der Motor am Rad des Kunden könnte neue Lifte verhindern. Das spart Geld, schont die Umwelt und erhält das für den Tourismus so wichtige natürliche Erscheinungsbild der Berge. Und dafür sind sie alle, zumindest Biker, Wanderer und Bergbewohner gleichermaßen.