LeserInnenbriefe
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Keine Schmerzgrenzen

betr.: „NSU. Immer wieder ‚Corelli‘“ von Konrad Litschko,taz vom 2. 6. 15

Beim Thema NSU-Aufklärung scheint es keine Schmerzgrenzen zu geben.

Was für eine Parallelwelt unterhalten wir da mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz? Was haben die für Schränke, Keller und V-Männer? Nach mehrmaligem Aufräumen findet man nichts oder es tauchen immer wieder neue Beweise auf, Akten werden vorschnell geschreddert oder ersaufen beim Hochwasser, mehrere Zeugen sterben kurz vor Befragungen.

Beim NSU-Prozess oder -Untersuchungsausschuss verweigert der Verfassungsschutz die Antwort, wenn die Fragen zu brenzlig werden. Wieso dürfen sie das? Alles ganz normal?

Immerhin hat der Innenminister jetzt die Geduld verloren. Ich erwarte, dass die „maximale“ Aufklärung „brutalstmöglich“ und „restlos“ durchgeführt wird, damit endlich klar wird, wen und was der Verfassungsschutz schützt. Verfassung haben wir ja keine. ULLA PUTZE-BREIDENSTEIN, Berlin

Bitte mehr davon

betr.: „Protest. Da musst du durch“, taz vom 1. 6. 16

Vielen lieben Dank, liebe taz-Redaktion, für diesen knackigen Artikel. Das Schweigen auch der linksliberalen deutschen Presse und das Nichtwissen auch in meinem Bekannten-/Familienkreis unter denjenigen, die nicht zufällig Freund_innen auf dem Place de la Republique haben und daher noch nicht wissen, was Lärmgranaten sind, ist erschreckend. Wie so oft ist selbst bei Bildern von Polizeigewalt die automatische Reaktion: Irgendwas werden sie wohl ausgefressen haben! Die Analyse der Arroganz der Meinungselite in Deutschland über alle anderen europäischen Staaten und deren Protestbewegungen (bezüglich Spanien und Griechenland sind die Abwertungen ja ähnlich) bringt der Artikel gut auf den Punkt.

Bitte mehr davon: mehr Infos darüber, worum es in dem Machtkampf in Frankreich wirklich geht (nicht nur „Lockerung des Kündigungsschutzes“, sondern im Kern ist es ein Anschlag auf gewerkschaftliche Organisierung) und wie es kommt, dass die Polizei in Frankreich so schnell im Bürgerkriegsmodus ist (Traditionen des Algerienkrieges?).

JOHANNA LANGENBRINCK, Berlin

Mit kritischem Blick

betr.: „Bullenversteher. Wir ham Polizei“, taz vom 4. 6. 16

Na klar, hat Irene Mihalic recht: „Die Polizei ist bürgernäher geworden, viel kommunikativer. Das muss man anerkennen.“ Das ist die eine Seite.

Und die andere Seite sind Polizist*innen als Vertreter*innen eines Staates, der aktiv Repression gegen Demonstrant*innen ausübt, vor allem, wenn sie gegen Rechtsextreme demonstrieren. Es sind Innenminister und willfährige Grüne, die verhindern, dass Polizist*innen eine anonymisierte Personenkennzeichnung bekommen – und damit Verantwortung übernehmen müssen für ihre Taten in Uniform. Und es sind solche Zahlen, die weiterhin erschreckend sind: Gegen etwa 4.500 Polizisten ermittelten die Behörden im Jahr 2013 wegen Straftaten im Amt. Weniger als jeder siebte Verdächtigte wird überhaupt angeklagt. Und fast alle kommen ohne Strafe davon. Genaue Zahlen gibt es nicht: Verurteilungen von Polizisten werden nicht erfasst.

Solange diese Missstände nicht behoben sind, solange es keine unabhängige Ermittlungsgruppe gibt, die Polizeigewalt und -fehlverhalten prüft und be- und gegebenenfalls verurteilt, so lange wird sich nichts daran ändern, dass Polizist*innen mit kritischem Blick betrachtet werden. Wer einmal eine hemmungslos prügelnde BFE-Einheit erlebt hat, wie bei Stuttgart 21, der wird das nie vergessen. Ebenso wie die fehlende Gerechtigkeit durch die juristische Aufarbeitung. JÖRG RUPP, Malsch

Was heißt „Rechtsstaat“?

betr.: „Über die Bürgerwehr im sächsischen Arnsdorf. Einschlägige Tendenz“, taz vom 3. 6. 16

Nina Apin beendet ihren Kommentar mit der Feststellung: „Die Tendenz ist eindeutig. Hoffentlich findet der Rechtsstaat auch darauf eine eindeutige Antwort.“

Was heißt in dem Zusammenhang Rechtsstaat? Ist hier ein Staat gemeint, der wirklich rechtlich handelt, oder der, wie in diesem erneuten Fall, rechtes und auch kriminelles Handeln toleriert? Denn was anderes ist denn das Vorgehen der Polizei und auch der zuständigen Staatsanwaltschaft – und das nicht nur in diesem Fall –, wenn Offizialdelikte nicht verfolgt werden beziehungsweise noch nicht einmal die Personalien der Täter festgestellt werden, um Anklage zu erheben. Ist das nicht Strafvereitelung im Amt?

Und was hier als Zivilcourage verkauft werden soll, ist nichts anderes als Entführung, Freiheitsberaubung und wahrscheinlich auch Landfriedensbruch, alles Straftaten, die schon von Staats wegen offiziell verfolgt werden müssen!

Die Frage muss erlaubt sein, ob Justiz und Strafverfolgung im Freistaat Sachsen nicht eher Sympathie für rechte Straftäter hegen. Hier ist tatsächlich die eindeutige Definition von Rechtsstaat gefragt, nämlich über rechtsstaatliches Handeln der staatlichen Organ und nicht über das „Gefasel“ von besorgten Bürgern, die unter dem Deckmantel der Rechtschaffenheit ihren Hass auf Fremde ausleben. ALBERT WAGNER, Bochum